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FRAUEN IN WITTENBERG

›HEXEN‹-VERFOLGUNG

in der Vergangenheit und ihre Rehabilitierung heute
Hartmut Hegeler ist ein engagierter evangelischer Pfarrer im Ruhestand. Dank seines Engagements haben bereits 21 Städte in Deutschland die Opfer sogenannter ›Hexenprozesse‹ in ihrer Stadt moralisch rehabilitiert. Im März 2013 war er nach Wittenberg gekommen, um auch hier einen solchen Rehabilitierungsprozess anzustoßen. Eine "sozialethische Rehabilitierung" nennt es auf dieser Veranstaltung unser damaliger OB (Oberbürgermeister) Eckhard Naumann, was da geschehen muss, denn "eine juristische Aufarbeitung dieser Vorgänge" sei nicht mehr möglich. Wichtig ist unserem OB, das Geschehen auch "mit Blick auf Tendenzen der Gegenwart" zu reflektieren.
Auch im protestantischen Wittenberg hat es zwischen 1540 und 1674 rund zwanzig derartige Prozesse gegeben, wie die MZ Quelle MZ vom 08.03.2014 auf S. 9 berichtete.
Hegeler weiß auch zu berichten, dass die Stadt eine der ersten in evangelischen Gebieten war, wo es zu solchen ›Hexenprozessen‹ kam.
Nun wird der Stadtrat sich dieses Gedankens annehmen, eine Beschlussvorlage ist in Arbeit.

Besonders schrecklich ist das Schicksal der Frau Prista Frühbottin, einer Frau aus der untersten Bevölkerungsschicht Wittenbergs, die im Jahr 1540 wegen Beschuldigungen angeblicher ›Hexerei‹  zusammen mit drei weiteren Personen unter den allerqualvollsten Umständen zu Tode gebracht wurde. Lucas Cranach hat die vier toten Menschen in einem berühmten,  unglaublich schrecklichen Holzschnitt festgehalten.
Mehr über diese arme Frau schreibe ich auf der Seite DAS CHRISTLICHE MENSCHENBILD (in MENSCH-SEIN » MENSCHENBILDER).

Vorerst möchte ich an dieser Stelle einen Artikel aus einer heimatgeschichtlichen Beilage des "Wittenberger Tageblatts" vom 11.10.1926 vorstellen (diese Beilage nannte sich zuerst "O du Heimatflur", später "Unser Heimatland" und wurde vom Lehrer und Heimatforscher Richard Erfurth erarbeitet) , in dem ein solcher, noch "glimpflich" ausgegangener ›Hexenprozess‹ beschrieben wird.
(Abschrift des Artikels:)

 Ein Wittenberger ›Hexenprozess‹.
Zu den dunkelsten Kapiteln deutscher Geschichte gehören Hexenprozesse, denen Tausende von Unschuldigen zum Opfer fielen. Und nicht immer war es religiöse Unduldsamkeit, religiöser Irrwahn und Borniertheit, die sie veranlasste; nicht selten verbarg sich unter dem Deckmantel dieser irregeleiteten Frömmigkeit nieder Rachsucht, Habsucht und Eigennutz. Genügte doch schon die bloße Verdächtigung, um einen Unglücklichen dem hochnotpeinlichen Gerichte und einem qualvollen Tode zu überliefern. Dass trotz Luther und der Reformation auch in Wittenberg der Hexenwahn in den Köpfen spukte, das bezeugt folgendes geschichtlich beglaubigtes Ereignis:
Im Jahre 1694 lebte im benachbarten damals noch sehr kleinen Dorfe Piestritz eine Frau mit Namen Zernigallin, die man der Zauberei beschuldigte. Sie sollte das Vieh im Dorfe und in den umliegenden Orten verhext, ja Kinder und ältere Leute durch Zaubertränke und teuflische Beschwörungen krank gemacht und sogar getötet haben. Die Frau wurde also angeklagt und auf einen Wagen geschlossen nach Wittenberg ins Gefängnis gebracht. Auf Grund der vom Leipziger Schöppenstuhl eingeholten Erkenntnisses wurde bei ihr Haussuchung getan, und man fand bei ihr, so heißt es in den Inquisitionsakten, „nichts Verdächtiges, außer in zweier Läden, deren eine, weil kein Schlüssel dazu vorhanden gewesen, erbrochen werden mußte, folgende Dinge: drei Stückchen einer schwarzen Wurzel, ein fest zusammengenähtes Kistchen, darin gelbe und weiße Wolle, zwei Büschlein, darinnen Schwarzkümmel, Dille und allerhand andere Gesämig und noch ein Stückchen andere Wurzel.“ Der Frau wurde hierauf vor Gericht folgende Frage vorgelegt: „Ob sie Menschen und Vieh durch bloßes Ansehen vergiften und bezaubern könne? Ob sie nicht einen sonderlichen Teufelsbuhlen oder Jungker habe? Wie er gestaltet sei? Wann er ihr angetraut worden?“ Darauf gab sie zur Antwort: „Es wäre ihr keiner angetraut worden; der Pfarrer würde ihr keinen Teufel antrauen.“ Darauf wurde sie weiter gefragt: „Ob sie nicht bei den Teufelstänzen gewesen?“ Da sie nun wegen der angeschuldigten Zauberei nichts gestehen wollte, so wurde nach einer Erkenntnis des Schöppenstuhls zu Leipzig den Professor Dr. Michael Sennert in Wittenberg aufgegeben, die Kräuter, welche man im Hause der vermeintlichen Hexe gefunden hatte, zu untersuchen und ein Gutachten darüber abzugeben. Dieses Gutachten lautet nach den Akten folgendermaßen:„Demnach berichte ich hierauf, daß zwar die überschickten Wurzeln und Gesäme alles bekannte und zur Arznei dienliche Sachen gewesen, jedoch aber man so eben nit wissen kann, ob nicht böse oder verdächtige Leute auch gute Sachen und Kräuter zur Zauberei und andern bösen Händeln gebrauchen. Wittenberg, d. 19. Juni 1694 Mich. Sennert, D.“ (In dem Artikel war dieses Zitat mit folgender Quellenangabe versehen: Nach Grohmanns Annalen der Universität Wittenberg)

Dieses „bedingte Gutachten“ zeigt, dass selbst die Leute der Wissenschaft sich damals noch nicht vom Aberglauben frei machen konnten. Die Folge davon war, dass nach einer zweiten eingeholten Erkenntnis des Schöppenstuhls die bedauernswerte Frau auf die Folter gebracht wurde. Es heißt in diesem Erkenntnis wörtlich: „Man soll sie dem Scharfrichter übergeben, dass er sie für möge ausziehe, entblößen, zur Leiter führen, die zur Peinlichkeit gehörigen Instrumente vorzeigen, die Daumenstöcke anlegen und damit zuschrauben, auch so dieses nicht fruchte, sie mit Banden zu schnüren.“ Nach dieser grausamen Marter berichtete der Scharfrichter: „daß ihm dergleichen noch nicht vorgekommen wäre; sie hätte wohl mehr als einen Teufel. Es käme ihm wunderlich vor, sondern auch dieses, daß sie nicht ein Härchen unter den Armen hätte, und die Beule uffn Kopfe, auch das Mahl uffn linken Arme mache ihm seltsame Gedanken.“ Die Frau blieb aber bei all den Martern standhaft und gestand nichts, offenbar, weil sie nichts zu gestehen hatte. Sie wurde daher wieder freigelassen. In dem Endurteil heißt es darüber: „So mag nun wider dieselbe ferner nichts vorgenommen werden, sondern sie wird nach geschworener Urfehde der Haft entlassen.“ (Ende der Abschrift des Artikels)

Michael Sennert war der Sohn von Daniel Sennert (1572 - 1637), dem Medizinprofessor hier in Wittenberg.
(Siehe auch Sennert, D. in der Namensliste; zu seinem Sohn  Michael habe ich noch keine weiteren Information zusammengestellt.)