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FRAUEN IN WITTENBERG

KÄTE BOSSE

Auch die Geschichte von Käte Bosse spiegelt ein besonders dunkles Kapitel unserer Stadtgeschichte wider.
Sie kam 1944 im KZ Ravensbrück ums Leben, wurde ermordet.

Noch immer haben die heutigen Vertreter der Stadt, des Paul-Gerhardt-Stiftes (das ist das evangelische Krankenhaus in Wittenberg) und der Evangelische Kirche  in Wittenberg sich dieser ihrer Vergangenheit und ihrer damaligen Verantwortung nicht gestellt. Aus meiner Sicht ist eine offizielle Bitte um Entschuldung gegenüber den Nachfahren von Käte und Paul Bosse das mindeste, was sie tun können.

Doch leider sieht es nicht danach aus. In einer unheiligen Verquickung von persönlichen und politischen Interessen hatten damals Vertreter von Stadt, Stift und Kirche (die sogenannten "Deutsche Christen") für die Ereignisse gesorgt, wie ich sie hier kurz schildere und wie sie in dem Buch der Enkeltochter der Bosses und ihres Mannes, Ute  und Detlef Stummeyer
(siehe STUMMEYER - BOSSE KLINIK in LESESTOFF) ausführlich dargelegt werden.

Hier will ich an Käte Bosse erinnern:
    - Was mir meine Großmutter über Käte Bosse erzählte
    - Meine Suche nach mehr Informationen
    - Die Bosse-Klinik
    - Eine E-Mail und ein Buch
    - Das Gedenken zum 70. Todestag von Käte Bosse am 16. Dezember 2014 in Wittenberg
    - Die noch immer offene Aufarbeitung der Geschichte:
   

PS 24.08.2016:
Seit kurzem ist eine Website im Aufbau, die aus der Sicht von Nachkommen auf das Schicksal von Käte Bosse und ihrem Mann Paul Bosse aufmerksam machen will:
www.paul-und-kaete-bosse.de »externer Link«
 
PS 01.01.2017:
Ehrung von Paul und Käte Bosse mit der "Bossestraße"

Am 16.12.2016, dem 72. Todestag von Käte Bosse, wurde das Teilstück der bisherigen Heubnerstraße, das an dem Gebäude der alten Bosse-Klinik vorbei führt, in "Bossestraße" umbenannt.

Was mir meine Großmutter über sie erzählte

Käte Bosse - so erzählte mir meine Großmutter in meinen Kindertagen - war die Frau eines hiesigen Arztes. Und sie war Jüdin. Als es in Wittenberg im Jahr 1935 im Sprengstoffwerk (WASAG) zu einem verheerenden Unglück mit mehr als 100 Toten kam, habe Dr. Bosse seine Klinik für die Aufnahme der Verletzten mit großem Engagement zur Verfügung gestellt. Dann - immer noch die Erzählung meiner Großmutter - war Adolf Hitler nach Wittenberg gekommen und habe sich bei den vielen Helfern, auch bei Dr. Bosse bedankt. Ihn soll er gefragt haben, ob er einen Wunsch habe und Dr. Bosse habe gebeten, dass seine Frau von den Gesetzen gegen Juden ausgenommen wird. Hitler gab ihm sein Wort. Doch trotzdem wurde Käthe Bosse später ins KZ Ravensbrück gebracht, wo sie dann am 16. Dezember 1944 ermordet wurde.

Soweit die Erzählung meiner Großmutter, die die "offizielle Legende um das Bosse-Schicksal" wiedergibt, wie sie bis heute in Wittenberg erzählt wird.
Doch die Realität, die tatsächlichen Ereignisse waren ganz anders.
Ich komme später darauf zu sprechen.

Hier ein Foto von Käte Bosse aus dem Jahr 1909
(von Fam. Stummeyer mir zur Verfügung gestellt - Klick auf das Foto führt zur größeren Version):
                          Käte Bosse 1909


Meine Suche nach mehr Informationen


Mehr erfahre ich über Käte Bosse durch den Wikipedia-Eintrag über ihre Tochter Kate Bosse-Griffiths (Stand 01.12.2013): "Kate Bosse-Griffiths (* 16. Juli 1910 in Wittenberg; † 4. April 1998 in Swansea, Wales; gebürtig Käthe Bosse) war eine deutsch-walisische Ägyptologin und kymrische Schriftstellerin."

und:
"Käthe Bosse entstammte einer protestantischen Familie aus Wittenberg mit deutsch-jüdischem Hintergrund. Ihr Vater war der Gynäkologe Paul Bosse;  ihre Mutter Käthe (* 12. Februar 1886 in Wittenberg; † 16. Dezember 1944 in Ravensbrück) stammte aus einem jüdischen Elternhaus (ihre Eltern waren Max und Louise Levin) und wurde 1897 evangelisch getauft. Nach dem Gymnasium in Wittenberg studierte sie in München, Berlin und Bonn Klassische Philologie und Ägyptologie.
Nach ihrer Münchener Promotion über Die menschliche Figur in der Rundplastik der ägyptischen Spätzeit von der XXII. bis zur XXX. Dynastie wurde Käthe Bosse 1936 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ägyptischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin - als bekannt wurde, dass ihre Mutter jüdischer Abstammung war, wurde sie jedoch nach kurzer Zeit entlassen. Käthe Bosse emigrierte daraufhin nach England und erhielt bald Stellen als Teilzeitdozentin für Ägyptologie und wissenschaftliche Mitarbeiterin in altertumswissenschaftlichen Museen ..."

Durch diesen Eintrag weiß ich nun, dass Käte Bosse zum Christentum übergetreten ist. Und ich weiß nun auch, dass es Nachfahren der Bosses gibt.
Diese weiteren Detail ihres Lebens hatte ich bei meinen damaligen Recherchen erst einmal  nur aufgenommen.

Die nächste Recheche dreht sich um die Bosse-Klinik selbst:


Die Bosse-Klinik


Die Bosse-Klinik, eine Geburts- und Frauenheilklinik, wurde auch nach dem Tod (1947) von Paul Bosse, dem Ehemann von Käte Bosse, während der ganzen DDR-Zeit als katholische Geburts- und Frauenklinik weitergeführt. Dort habe ich auch meine beiden Kinder in den Jahren 1975 und 1987 zur Welt gebracht.

Die alte "Bosse Klinik" gibt es nicht mehr. Die Nachfolgeeinrichtung nennt sich nun "Klinik Bosse". Sie befindet sich an anderem Ort und hat eine andere Aufgabe übernommen - als psychiatrische Klinik gehört sie zur "Alexianer-Holding". Auf deren Website ist über die Geschichte der Klinik und der Familie Bosse zu lesen:
(Stand 1. 12. 2013 und 14.02.2016 -
www.alexianer-sachsen-anhalt.de/wir_ueber_uns/geschichte/klinik_bosse_wittenberg/ »externer Link«
Gründer der Klinik Bosse war der Chirurg, Geburtshelfer und Gynäkologe, Herr Dr. Paul Bosse, der ursprünglich als Chefarzt des damaligen Paul-Gerhardt-Stiftes tätig war. 1935 wurde sein Arbeitsvertrag dort beendet, weil seine aus einer angesehenen Wittenberger Familie stammende Frau Käthe Bosse  jüdische Vorfahren hatte. Obwohl Käthe Bosse ganz als evangelische Christin aufwuchs und sich auch als Christin verstand, war sie der nationalsozialistischen Willkür ausgesetzt.

So eröffnete Dr. Paul Bosse nach Um- und Ausbauten in seinem Wohnhaus in der Heubnerstraße, eine geburtshilfliche Klinik. Unterstützung fand er am Institut der Schönstätter Marienschwestern. Die Schwestern gehören zur internationalen Schönstattfamilie; gegründet von Pater Josef Kentenich am 18. Oktober 1914.

Herr Dr. Bosse verstarb im März 1947 und hatte im Dezember 1946 Herr Dr. Kurt Jonas, der zu dieser Zeit einzige niedergelassene Frauenarzt in Wittenberg, gebeten, die Leitung der Klinik zu übernehmen. 1949 übernahm der Caritasverband Magdeburg die Trägerschaft der Klinik, die weiterhin den Namen Klinik Bosse trägt. Herr Dr. Jonas war dann bis 1973 Chefarzt der Klinik.
Die Formulierung "nationalsozialistische Willkür" ist aus meiner Sicht angesichts der Tatsachen nur als Euphemismus, als beschönigende Darstellung zu bezeichnen.
Der Name der Klinik war bis zur Wende "Bosse-Klinik" und nicht "Klinik Bosse".

Vor dem   heute leerstehenden Haus der ehemaligen Bosse-Klinik in der Heubnerstraße 26 gibt es einen Stolperstein für Käte Bosse. Darüber hinaus ist auch eine größere Gedenktafel am Haus selbst für Paul und Käte Bosse
angebracht.
Es existieren beide Schreibweisen: "Käte" und "Käthe". Nach Auskunft ihrer Enkeltochter, Ute Stummeyer, hat sie sich selbst "Käte" geschrieben.

In dem heutigen Wissen um das Schicksal der Familie Bosse wäre es aus meiner Sicht angebracht, ihrer auch dadurch zu gedenken, dass eine Straße den Namen "Käte- und Paul-Bosse-Straße" oder "Käte-Bosse-Straße" erhält.

( Fotos privat - B.K. Bei Klick auf die kleinen Fotos wird ein großes Foto sichtbar:)
Gedenktafel am Gebäude der ehemaligen Bosse-Klinik und  Stolperstein vor dem Haus:
                     Gedenktafel an der ehemaligen Bosse-Klinik              Stolperstein für Käte Bosse

Eine E-Mail und ein Buch

Anfang Juni 2014 erhielt ich eine Mail von Herrn Detlev Stummeyer, der sich für meine (damals noch wesentlich kürzere) Darstellung des Schicksals von Käte Bosse und der Familie Bosse auf meiner Website bedankte. Seine Frau ist die Enkeltochter von Paul und Käte Bosse. Beide hatten gerade ein Buch über das Schicksal der Bosse-Familie und der Bosse-Klinik fertig gestellt. Ich stelle es ausführlicher im Rahmen der LESESTOFFE  VOR: STUMMEYER BOSSE-KLINIK.


Die Gedenkveranstaltung am 16. Dezember 2014
Dem persönlichen Engagement von Heinz Thieme  ist es zu verdanken, dass am 70. Todestag von Käte Bosse, am 16. Dezember 2014, in dem zur Zeit leerstehenden Gebäude der Bosse-Klinik  ihres Schicksals und des der Familie Bosse gedacht wurde.
Heinz Thiemes Wunsch, diese Gedenkveranstaltung zu organisieren, resultiert aus mehrfachem persönlichen Bezug zu den Bosses, da er nicht nur das schwerste je in dieser Klinik geborende Baby war, sondern sein Großvater mit Paul Bosse eng befreundet war. Er selbst wohnte in Kindheit und Jugend in der Nähe und hatte engen Kontakt zu den Schwestern der Bosse-Klinik, ging dort ein und aus, half, wenn er konnte.

Er konnte auch Herrn Dr. Reiner Haseloff (CDU, Ministerpräsident Sachsen-Anhalts) gewinnen, die Gedenkrede zu halten. Dr. Haseloffs  erklärte die  Gründe für diese Bereitschaft in seiner Rede: er selbst hatte mit seiner Familie von 1986 bis 1990 in der gleichen Wohnung gewohnt,  die die Bosses im Zusammenhang mit dem Ausbau der Klinik in ihrer Privatvilla 1935 bezogen hatten, in der Sternstraße 91. Diese "räumliche Nähe" zu den Bosses muss ihn - so konnte man seinen Worten entnehmen - sehr bewegt haben.

Besonders berührend war, dass Nachfahren der Familie Bosse - Familie Stummeyer  aus Edingen-Neckarhausen und Heini Gruffud aus Wales - gekommen waren.  Vertreter der Stadt (Bürgermeister Torsten Zugehör), der neuen Klinik Bosse, der evangelischen und der katholischen Kirche sowie der jüdischen Gemeinde Dessau-Roßlau und Schönstätter Marienschwestern waren anwesend in der kleinen Kapelle der alten Bosseklinik. Auch viele Wittenberger hatten es sich nicht nehmen lassen, ihre Verbundenheit mit den Bosses zu bekunden.

Am nächsten Tag trafen sich Angehörige und Freunde zu einem stillen Gedenken am Grab der Familie Bosse. Hier ein Foto vom Grab von Käte und Paul Bosse an diesem Tag. (privat - Dr. D. Schäfer, Klick auf das Foto führt zu einer größeren Version)
                                  Grab der Eheleute Bosse

Herr Stummeyer hat mir die von ihm und seiner Frau vorbereitete und auf der Gedenkfeier verlesene Rede als pdf übermittelt, die ich gern mit hier aufnehme:
Gedenkfeier.pdf

Der in Wales lebende Sohn von Kate Bosse-Griffith, Enkel von Paul und Käte Bosse, Heini Gruffudd, hat ein Buch in Walisisch über das Familienschicksal geschrieben und es ins Englische übertragen.
Wieder haben sich im Lauf des Jahres 2015 Wittenberger engagiert, nun, um dieses Buch ins Deutsche zu übersetzen. Herr Prof. Dr. Hans-Jürgen Grabbe hat sich bereit erklärt, diese Arbeit unentgeltlich zu übernehmen.
Das "Wittenberger Sonntag Magazin" Quelle Wiso hat darüber berichtet und den Artikel auch ins Netz gestellt:
wittenbergersonntag.de/artikel/4086/buch-ueber-das-schicksal-der-familie-bosse »externer Link«

Die noch immer offene Aufarbeitung der Geschichte

Die Nachfahren von Paul und Käte Bosse selbst gehen logischerweise unterschiedlich mit ihrer Familiengeschichte um. Vermutlich bewegen sich ihre Erinnerungen zwischen traumatischem Leid und Verdrängung, zwischen der Einsicht, dass nichts die Geschehnisse ungeschehen machen kann, und der Erwartung, dass es doch irgendwie zu einer Reaktion der Stadt Wittenberg, der Evangelischen Kirche und des Paul-Gerhardt-Stiftes kommen könnte, diese Vergangenheit schonungslos-ehrlich aufzuarbeiten.

Unabhängig von den Erwartungen der Bosse-Nachfahren halte ich es für dringend notwendig, dass sich die drei Institutionen diesem Kapitel ihrer Geschichte endlich stellen und ehrlich bekennen:
Ja, wir haben damals einen furchtbaren Fehler gemacht.

Die damaligen Handlungen dieser drei Akteure und die bisherige Verweigerung, sich der eigenen Verantwortung zu stellen, werden in dem Buch der Stummeyers thematisiert:
siehe STUMMEYER BOSSE-KLINIK(in LESESTOFF).