QUERDENKER (FRÜHER AUCH KETZER GENANNT) IN WITTENBERG
SCHWERTER ZU PFLUGSCHAREN
Im Jahr 1983 gab es einmal die Tat eines Querdenkers
hier in Wittenberg, die Aufsehen erregte: da wurde auf dem Hof des Lutherhauses ein Schwert umgeschmiedet, der Schmied hieß Stefan Nau
A1.
Ich weiß nicht, ob wirklich eine Pflugschar daraus wurde. Doch das war nicht die Frage, ging es ja um die symbolische Bedeutung der Aktion.
Damals fand hier in Wittenberg anlässlich des 500. Geburtstages von Martin Luther ein gesamtdeutscher Kirchentag statt.
Die Aktion war Teil der
"Schwerter-zu-Pflugscharen-Bewegung", die sicher noch bekannt ist. Ob der Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer damals ihr Urheber oder ihr Mitinitiator war oder "nur" mit dafür gesorgt hatte, dass diese Bewegung Massencharakter annahm, weiß ich nicht. Einer der führenden Köpfe der Opposition, einer der mutigsten "Querdenker" in der DDR war er auf jeden Fall.
Ja, und ich bin felsenfest überzeugt, dass Friedrich Schorlemmer mit seinen Predigten und sonstigen Aktivitäten herausragenden Anteil daran hatte, dass Ende des Jahres 1989 die Bürgerbewegung in der DDR und die staatlichen Reaktionen friedlich blieben. Bange war uns allen damals, man wusste doch nicht, was daraus wird. Man hatte doch gesehen, wie die friedlichen Thesen zu Luthers Zeiten den Bauernkrieg nach sich zogen.
Wer konnte 1989 sicher sein,
dass es keinen Bürgerkrieg geben
würde?
Anders gesagt, das, was Herr Schorlemmer damals getan hat, dürfte eine der mutigsten Taten, wenn nicht die mutigste Tat in Wittenberg in den vergangenen 100 Jahren gewesen sein.
(Warum er also noch nicht mit dem Lutherpreis "Das unerschrockene Wort" ausgezeichnet wurde, wissen die Götter.)
Im folgenden Text nehme ich Bezug auf
• Das Logo
• Die Bibel
• "Nicht mehr lernen, Krieg zu führen"
• Die oppositionelle Friedensbewegung in der DDR unter dem
Motto "Schwerter zu Pflugscharen"
• Die Original-Plastik "Schwerter zu Pflugscharen"
• Die ökumenische Friedensdekade
• Ein PS vom 31.12.2022: Wieder schlagen Schwerter zu
Das Logo
Das einprägsame Bild von den Schwertern, die zu Pflugscharen zu machen sind, geht auf eine Bibelstelle zurück, auf den Propheten Micha im Alten Testament.
Das Kapitel 4 spricht von einer friedlichen Zukunft, dem
"kommenden Friedensreich Gottes".
Dem Micha ging es dabei eigentlich um die Bekehrung der Heiden, die von sich aus zu Gott finden sollen.
Diese Abbildung des Logos habe ich im Juli 2008 der Website
www.friedensdekade.de entnommen.
Die Bibel
(aus der Bibel in der Luther-Übersetzung,
Version 1984,
Altes Testament,
Prophet Micha,
Kapitel 4, Verse 1 - 3:)
1 In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über die Hügel erhaben. Und die Völker werden
herzulaufen,
2 und viele Heiden werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinauf zum Berge
des HERRN gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem.
3
Er wird unter großen Völkern richten und viele Heiden zurechtweisen in fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
Nicht mehr lernen,
Krieg zu führen
Für besonders bemerkenswert halte ich die letzten Worte - dass schon
damals - rund 700 Jahre v. Chr. - gesehen wurde,
dass Krieg in Zukunft gar nicht mehr nötig sein wird. Die Gotters-Botschaft ist,
dass die Menschen lernen können, ohne Krieg und Waffen
zusammen zu leben.
Die oppositionelle Friedensbewegung in der DDR unter dem Motto "Schwerter zu Pflugscharen"
Das folgende Zitat ist aus Meyers Online-Lexikon
(www.lexikon.meyers.de (Zeitgeschichte), Juli 2008)
Schwerter zu Pflugscharen, in der DDR in den 1980er-Jahren Motto, Symbol und
"Name der oppositionellen Friedensbewegung unter dem Dach der Kirche in der DDR, benannt nach der Friedensvision des Propheten Micha (Micha 4,3). Ursprünglich als Symbol für die 1980 konzipierten gesamtdeutschen Friedensdekaden gewählt, wurde der in der kirchlichen Jugendarbeit der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens entstandene Aufnäher, auf dem die gleichnamige Plastik (1957) des russischen Bildhauers Jewgenij Wiktorowitsch Wutschetitsch (* 1908, † 1974), ein Geschenk der UdSSR an die UNO, abgebildet war, erstmals hergestellt für die Friedensdekade 1981; daraus entwickelte sich eine symbolische Aufnäheraktion, mit der die Friedensbewegung außerkirchliche Öffentlichkeit suchte. Das öffentliche Tragen des Aufnähers hatte für die in der Regel jugendlichen Bekenner (bis März 1982 über 100 000) vielfältige Repressionen zur Folge. – Das Symbol wurde auch von Gruppen der westdeutschen Friedensbewegung verwendet."
Die Original- Plastik
Es scheint eine "Ironie der Geschichte" zu sein, dass ausgerechnet die Plastik, die die Sowjetunion der UNO schenkte, zum Symbol einer oppositionellen Friedensbewegung in der DDR wurde.
Ich habe bei www.geocities.com im Jahr 2008 diese Abbildung der Plastik gefunden. Gut, der heutige Geschmack ist etwas anders, der Pathos der Figur mag manch einem etwas eigenartig vorkommen. Eines zeigt sie allemal: diese Aufgabe ist nichts für Schwächlinge.
Vor einigen Jahren unterhielt ich mich mit einem Wittenberger, der mir erzählte, dass er mithilft, in den Krisenregionen Minen aufzuspüren und unschädlich zu machen. Es ist etwas komplizierter geworden, Schwerter resp. Waffen und Kriegsgeräte zu entsorgen. Pflüge kann man wohl kaum noch aus ihnen machen.
Und heute?
Die DDR gibt es nicht mehr. Wollte die DDR Krieg?
Ist das Friedensreich nun schon gekommen?
Deutschland führt Krieg, deutsche Soldaten verteidigen die Interessen Deutschlands weit weg von unseren Grenzen.
Wir spüren diesen Krieg überhaupt nicht, nur gelegentlich erreichen uns Nachrichten von Kampfhandlungen und Opfern, von getöteten deutschen Soldaten und von Politikern, die in die Kriegsgebiete reisen und den Soldaten sagen, dass sie tapfer sind und es wichtig ist, was sie tun.
"Lasst das Licht des Friedens scheinen,
Dass nie eine Mutter mehr
Ihren Sohn beweint."
ist eine Zeile der Nationalhymne der DDR, die wir als Kinder sangen.
Wir sangen auch
"Kleine weiße Friedenstaube, fliege übers Land ..."
"Schwerter zu Pflugscharen" zu fordern ist heute immer noch so aktuell wie damals. Ich denke, es ist höchste Zeit für eine neue Aktion "Schwerter zu Pflugscharen"!
Ergänzung am
01.01.2015:
Vor einiger Zeit war an der Wittenberger Stadtkirche ein Banner mit dem Logo "Schwerter zu Pflugscharen" angebracht, im Zusammenhang mit der Ökumenischen Friedensdekade
(siehe unten).
Einen Button mit "Schwerter zu Pflugscharen" habe ich im Jahr 2014 hier in Wittenberg gesehen. Es war eine in Wittenberg bekannte Vertreterin der Kirche, die ihn angesteckt hatte. Als ich sie darauf ansprach, sagte sie:
"Ich denke, es ist wieder Zeit, ihn zu tragen."
Ob es ihr angenehm wäre, wenn ich ihren Namen hier nenne, weiß ich nicht. Daher lasse ich es lieber.
Vielleicht bin ich auch bald mutig genug, einen solchen Button zu tragen.
Ich habe kürzlich recherchiert, wo es sie zu kaufen gibt:
"Punk-Shop.com" ( the underground warehouse") - dort gibt es diesen hübschen in schwarz und rot, Durchmesser 2,5 cm für 0,99 Euro.
Auf
"hood.de" gibt es den Button ganz in blau auf weißen Untergrund, ebenfalls für 1 Euro.
(
Die Abbildungen habe ich den genannten Websites entnommen, z. T. bearbeitet.)
Die ökumenische Friedensdekade
hat das Logo zu ihrem Zeichen gemacht.
Informationen über die ökumenische Friedensdekade gibt es unter:
www.friedensdekade.de/ueber-uns/organisation/
bzw. Infos über das Logo:
www.friedensdekade.de/downloadcategory/friedensdekadelogos/
Ein Denkmal "Schwerter zu Pflugscharen" in Wittenberg
Dieses Denkmal, bereits im Jahr 2014 in Vorbereitung des 500. Jahrestages des Beginns der Reformation geplant, wurde im Jahr 2017 dann feierlich eingeweiht. Es steht im Innenhof des Lutherhauses, soll das Symbol der Aktion in "Negativform" zeigen. Doch es ist ziemlich abstrakt geraten, so dass wohl mancher Betrachter die Lust verliert, es zu deuten, und achtlos daran vorbei geht.
PS 31.12.2022: Wieder schlagen Schwerter zu
Mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine am 24. Februar 2022 ist eine
"Zeitenwende" eingeleitet worden, wie es unser Bundeskanzler Olaf Scholz nannte.
Das Wort ist treffender als es auf den ersten Blick erscheint. Die Zeit geht rückwärts - aus Pflugscharen werden wieder Schwerter und die Sprache ist wieder kriegerischer geworden.
Auch in der
WORTSAMMLUNG VON A BIS Z wurde - wörtlich - eine "neue Seite" aufgeschlagen, neu angelegt: auf der Seite
MILITÄRISCH sammle ich die jetzt wieder so häufig aus den Medien und den Mündern der Politiker uns entgegenschreiende Wörter einer neuen, alten Kriegsrhetorik.
Die alte Sammlung aus der Zeit vor dem 24.02.2022 ist unter "
MILITÄRISCH
VOR 2022" zu finden.
Diesen beiden Sammlungen habe ich die
WORTSAMMLUNG FRIEDEN gegenüber gestellt.
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↑ Anmerkung A1
Der damals, im Jahr 1983 verwendete Amboss steht übrigens in der sogenannten "Kronjuwelenausstellung" im Zeughaus in der Juristenstraße - in gebührender und sicherer Distanz zum Richtschwert der Stadt Wittenberg.