banner fri - FRIDOLIN, DIE GESCHICHTE EINES ATOMMODELLS
FRIDOLIN
DIE GESCHICHTE EINES NEUEN MODELLS VON DER STRUKTUR DER MATERIE
DIE VORGESCHICHTE (1955 - 1998)

DAS BUCH DER KINDERGÄRTNERIN

EIN SPIELPLATZ VOM FEINSTEN


Man weiß erst hinterher, wofür Erfahrungen gut sind.
(Marie von Ebner-Eschenbach)

Neben meiner Faszination für Bücher gab es auch die "andere Seite", die praktische. Meine Alltagserlebnisse, meine Kindheitseindrücke waren natürlich wichtige Erfahrungen, von denen ich seitdem immer wieder gezehrt habe.
Hiier will ich ein paar Episoden erzählen, die "irgendwie mit Physik zu tun haben". Das habe ich damals natürlich nicht gewusst, erst im Nachhinein so interpretiert.

Eine Kuh, eine Zentrifuge und ein Butterfass

Von meinem Vater verbürgt ist folgendes Erlebnis:
Ich muss noch sehr klein gewesen sein, gerade dass ich einigermaßen sprechen konnte.
Wir waren alle zusammen zur Ernte aufs Feld gefahren. Die Kinder mussten natürlich mit. Unsere Kuh diente nicht nur zur Milchgewinnung, sie war auch unser "Zugpferd" für Wagen, Pflug u. a. Gerätschaften.
Während der Arbeiten hatte sie sich an den Feldrand gelegt. Ich muss wohl sehr erschrocken gewesen sein, denn normalerweise sahen ich sie nicht liegend. Also platzte ich raus: "Wassen nu, schwarze Kuh fallen um?" Der Rest der Familie soll sich köstlich darüber amüsiert haben.
Doch begann nicht schon in diesem Augenblick - mit meiner Verwunderung darüber, dass auch eine Kuh den Fallgesetzen gehorchen muss - mein Interesse für Physik?
Das ist natürlich nur eine scherzhafte Bemerkung, bitte nicht ernst nehmen!

Zu unserem Alltag gehörte auch das  "Buttern":
Ich konnte zusehen, wie in einer mit Handkurbel angetriebenen Zentrifuge Milch und Sahne getrennt wurden und fand das ziemlich spannend. Ich verstand nicht, was da passierte, wieso das möglich war. Rätsel machen neugierig.
Das Rühren der Sahne im "Butterfass" war eine ebenso spannende Sache: hier wurden wieder zwei Dinge getrennt - das Milchfett und die restliche Flüssigkeit, die "Buttermilch". Die fertige Butter wurde in Holzformen gestrichen und in einen Eimer mit kaltem Wasser gedrückt - dort schwammen die Stücke dann lustig herum. Es war schon erstaunlich, dass die Butter anschließend "trocken" war, kein Wasser mehr enthielt.

Die Pumpe

Lange Zeit hatten wir nur eine Pumpe im Backhaus zu stehen, mit der wir unsere gesamte Wasserversorgung abdecken mussten. War "das Wasser abgelaufen", musste nachgefüllt werden, damit die Pumpe wieder genug Unterdruck erzeugte, das Wasser aus dem Brunnen ziehen zu können. Wollten wir baden, mussten wir erst den Wasserkessel vollpumpen - eine Heidenarbeit - und heizen. War das Wasser warm genug, wurde es mit einem Schlauch aus dem Kessel in die Badewanne geleitet, auch das wollte gelernt sein.

Die Stellmacherei  - sägen, feilen, fräsen, drechseln, bohren, ...

Mein Vater und mein Großvater arbeiteten in der Stellmacherei im Haus. Wir konnten jederzeit "gucken kommen", was da passierte: Bei allen Holzbearbeitungsmethoden konnten wir unmittelbar zusehen Es gab durchaus erste elektrische Geräte wie die riesengroße Bandsäge und eine Hobelbank., doch das meiste war noch rein mechanische Arbeit: Gesägt und gebohrt wurde mit Körperkraft. Damals fuhren die Fuhrwerke der Bauern mit Holzrädern: Nabe, Speichen und Felge wurden von Hand aus Holz hergestellt. Lediglich ein eisernes Band, das der Schmied im Dorf herstellte, wurde zum Schutz außen um das Rad gelegt. Doch vorher musste es in eine Grube, in der es rotieren konnte und so lange eingestellt wurde, bis es nicht mehr "eierte".
Wir heizten viel mit Holz und Reisig. Das Holz für den Winter musste rechtzeitig gehackt und in einer Art "Rundturm" gestapelt werden, so dass es nicht einstürzte - eine Kunst.

Die Leiter auf den Scheunenboden - no risk, no fun

Eine lange, leicht durchgebogene Leiter führte auf den oberen Scheunenboden, der uns streng verboten war - oben waren nur Balken und ein paar lose Bretter, durch die hindurch man vier Meter hinunter sehen konnte auf den ebenerdigen Scheunenboden.  Allein das Klettern auf der schmalen Leiter hinauf war eine Mutprobe - erst recht das Balancieren oben auf dem Oberboden. Es musste probiert werden, klar. Übrigens stand unten  in der Scheune eine Dezimalwaage, auf der wir alles möglich und natürlich uns selbst immer mal wieder wogen und so ein "Gefühl für das Gewicht" (wie es damals noch hieß) bekamen, inklusive der Erfahrung mit der Umrechnung 1 : 10.

Das lange schwere Seil - das "Wissen meiner Hände"

Von all diesen Spielmöglichkeiten ist mir jedoch ein gewöhnliches, ziemlich langes und recht schweres Seil, das eines Tages auf dem Hof lag und das ich mir aneignete, besonders in Erinnerung geblieben. Die Stunden, die ich damit spielte, kann ich nicht zählen. Eines meiner Lieblingsspiele war die Erzeugung einer Seilwelle: durch Anheben und Senken des einen Seilendes im richtigen Takt konnte dem Seil eine Schlängelbewegung (gedämpfte Sinuskurve) aufgeprägt werden: es gab Wellen mit großer oder kleiner Amplitude, Wellen in einer (senkrechten ) Ebene oder in Schraubenwindungen, wenn man das Seilende kreisförmig bewegte. Die Bewegungen sahen sehr schön, sehr harmonisch aus ....

Eine Wirkung dieser Übungen spüre ich übrigens bis heute:
Wenn ich im Garten den Wasserschlauch bewegen will, macht meine Hand "automatisch" die entsprechenden Bewegungen, wie ich sie damals gelernt hat, ohne dass ich dabei nachdenken muss. Es verblüfft  mich immer wieder, wie leicht und schön das klappt.
Das "Wissen" um diese Bewegungen ist "Körperwissen", das man nicht theoretisch in der Schule vermitteln kann.
So wie es mit Laufen, Tanzen, Fahrradfahren auch ist: man muss es praktisch üben. Weder Theorie noch das Zusehen, wie andere es machen, kann einem helfen, es zu lernen.

Die Schaukel, die Wippe

Mein Vater hatte uns im Garten eine sehr große Schaukel gebaut, wesentlich höher als heute Kinderschaukeln sind. Natürlich schiebt man eine Schaukel nicht an, wenn sie in Schwung ist - man muss warten, bis das Brett seinen Wendepunkt, einen Moment der Ruhe erreicht, an dieser Stelle ist die Energieübertragung am leichtesten.
Für den Kindergarten hatte mein Vater eine wunderschöne und sehr große Holz-Wippe gebaut (ganz ohne Bau- und Sicherheitsvorschriften, vermute ich). Auf jeder Seite waren zwei Sitze - so haben wir spielend gelernt, das Gewicht untereinander auszugleichen.  Das schwerere Kind musste vorn sitzen, auf der anderen Seite saß das leichtere Kind am Ende.  Man konnte auch den anderen oben "zappeln" lassen, wenn man sich unten "schwer machte", also weit nach hinten (außen) lehnte.
Später war das Hebelgesetz natürlich leicht zu verstehen, hatten wir doch im Hinterkopf die Erfahrung der Wippe parat.

Hof, Garten, Feld, Wald - wir gingen "rumtreiben"

Ob es das Dengeln der Sensen war, das Schleifen der Messer an einem ziemlich großen, mit Kurbel zu bedienenden Schleifstein, das Mähen des Getreides, das Einfahren der Ernte - immer waren wir Kinder dabei, guckten zu oder halfen mit.
Wenn wir Kinder auf dem Heuwagen hoch oben von der Wiese nach Hause fuhren und manchmal Angst bekamen, weil die Fuhre zu sehr kippelte, bekamen wir den Spruch zu hören: "Was wackelt, das kippt nicht."
Tagsüber waren wir unterwegs, "rumtreiben" wurde das ganz offiziell genannt.

Das Perpetuum mobile - mein Vater versuchte lange,
eines zu bauen

Daran erinnere ich mich besonders gern: Wir hatten bereits im Physikunterricht gehört, dass ein Perpetuum mobile - eine Maschine, die aus dem Nichts  Energie abgeben kann - nicht möglich ist, als ich meinen Vater beim Knobeln "erwischte": er wollte ein solches Ding bauen, glaubte daran, dass es machbar wäre. Ich konnte mein theoretisches Wissen dagegen halten mit dem Energieerhaltungssatz.
Bis heute bewundere ich ihn für diese Freude am Knobeln.
Neues Wissen verlangt auch, festes Wissen in Frage zu stellen, über das gewohnte Denken hinauszugehen.

Küchenphysik  und Küchenchemie

Ich will hier keine lange Geschichte über Physik und Chemie der Küche erzählen, nur eine einzige Episode möchte ich erwähnen, da sie vielleicht etwas mit meinem "Fridolin" zu tun haben könnte:
Beim Kuchenteig-Rühren achtete meine Oma streng darauf, dass ich immer nur in eine Richtung rührte. Ich fragte sie, was denn passiert, wenn ich mal rechtsherum und mal linksherum rühren würde, da meinte sie: "Dann klumt der Teig."
Ich werde später noch an anderer Stelle auf diese kleine, unscheinbare Erfahrung zurückkommen, für heute mag es genügen.

PS: Diese Spiel-Erfahrungen waren wohl auch einer der Auslöser für einen jahrelangen Traum von einem Projekt "Physik zum Anfassen" für Kinder.
Einmal - in den Jahren 2008/2009 - hatte ich die Hoffnung, diese Idee nun endlich realisieren zu können (es wird irgendwann darüber berichtet werden), bin aber kläglich an den Umständen gescheitert.