banner fri - FRIDOLIN, DIE GESCHICHTE EINES ATOMMODELLS
FRIDOLIN
DIE GESCHICHTE EINES NEUEN MODELLS VON DER STRUKTUR DER MATERIE
DIE VORGESCHICHTE (1955 - 1998)

DIE PUPPE

Fridolin war eine alte, ziemlich kaputte Puppe. Ich erinnere mich noch, dass ihr schon die Holzwolle aus dem Bauch quoll. Sie war bestimmt älter als ich mit meinen damals etwa vier Jahren.
Dieser Puppe verdanke ich die erste große Erkenntnis meines Lebens.

Eines Tages sagte ein Erwachsener zur mir:
„Dein Fridolin ist ja schon so kaputt und alt. Möchtest du nicht eine neue Puppe haben? Die alte Puppe werfen wir weg.“

Voller Entsetzen überlegte ich, wie ich die Puppe retten könnte. Schüchtern schlug ich vor:
„Fridolin muss nicht weggeworfen werden, er braucht nur neue Arme, neue Beine, einen neuen Kopf und einen neuen Bauch.“
In diesem Augenblick, als der Satz ausgesprochen war, durchzuckte mich der Gedanke:
Was unterscheidet diesen „neuen Fridolin“ denn dann noch von einer völlig neuen Puppe?

Ich fand das so komisch, dass ich lachen musste. Der Erwachsene lachte auch – später begriff ich, dass er mich vermutlich für blöd gehalten hatte mit meinem „dummen“ Vorschlag. Hatte er vielleicht gedacht: "Das macht doch keinen Unterschied, das ist doch das gleiche." - ?
Doch mir war damals schon irgendwie klar, dass es ein großer Unterschied ist, ob ich eine neue (womöglich gleich aussehende) Puppe bekomme oder ob der Puppe nach und nach die kaputten Teile ausgewechselt werden.

Diese Episode halte ich deshalb für erwähnenswert, weil ich damals von einem Augenblick zum anderen etwas intuitiv „wusste“, was ich erst viel später und durch jahrelange Beschäftigung mit Mathematik, Physik und Philosophie verstand:
Der allmähliche Austausch von Teilen eines Systems hält dieses stabil, verhindert seine Alterung. Die Identität bleibt erhalten, obwohl oder gerade weil sich dieses System ständig ändert und erneuert.
Ohne den Austausch von Teilen des Ganzen würde das Ganze, das System „sterben“, "vergehen".
Diese Gedanken, dass „alles, was existiert, nur existieren kann, wenn es sich ständig verändert", dass das "Werden und Vergehen" die Grundeigenschaft allen Seins ist, wurden zu einem wesentlichen Ausgangspunkt für mein Modell von der Struktur der Materie. Und deshalb heißt es halt „Fridolin“.

Panta rhei – alles fließt (Heraklit)

Dieses "Fridolin-Problem" fand ich später in einem philosophischen Rätsel bzw. Paradoxon wieder, bei dem es ebenfalls um den Austausch von Teilen eines Objektes geht - das Problem der "doppelten Identität". Es nennt sich "das Schiff des Theseus".
Dabei geht es um zwei „gleiche“ Schiffe, bei denen alle Teile ausgetauscht werden und dann gefragt wird, welches das eigentliche, originale Schiff ist.

Die Frage, die dabei aufgeworfen wird, ist nicht nur philosophische Spinnerei. Sie begegnet uns in sehr vielen Alltagsfragen.
Ein Bekannter erzählte, dass er sich an einer ähnlichen Frage gedanklich abgearbeitet hatte:
Wenn eine Socke ein Loch hat, das immer größer wird - ab wann ist dann die Socke keine Socke mehr?

Im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der Frauenkirche und der Semperoper in Dresden steht die Frage, ob man hier wirklich diese beiden Bezeichnungen verwenden kann. Denn obwohl dort noch viele alte Teile verwendet werden konnten, sind es ja nicht mehr die alten Gebäude, sondern neu errichtete.

Auch der Mensch selbst, sein Körper, bleibt in seiner Existenz nur stabil, wenn ständig kleinste Teilchen (Atome, Moleküle, Zellen) "ausgetauscht" bzw. erneuert werden. Man sagt, dass ein Mensch im Durchschnit innerhalb von sieben Jahren seinen Körper völlig ausgetauscht hat. Er muss dafür also Stoffe aus seiner Umwelt aufnehmen und andere Stoffe wieder abgeben. Ist dieser Austausch gestört, erkrankt der Mensch oder stirbt sogar. Andererseits zeigt sich mit dieser Sichtweise auch, wie wichtig ist, diejenigen Stoffe zu essen, zu trinken, einzuatmen, die dem Körper gut tut.

"Alles fließt" meint in diesem Sinne, dass nichts auf der Welt sich ewig gleich ist, nur existiert, wenn es im ständigen Wandel ist.
"Man kann nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen." (ebenfalls von Heraklit) schildert in einer anderen Version dieser Tatsache.

Die so genannte "creatio continua", die "ständige Schöpfung" gehört auch zu dieser Thematik. Diesen Gedanken lernte ich erst Mitte der 90er Jahre kennen. Sie, diese "ständige Schöpfung" begeisterte mich sehr und so ist es natürlich keine Frage, dass auch sie  - und gerade sie - zu einem Gedanken wurde, der auf dem Weg zu meinem Modell immer im Hinterkopf dabei war.
(siehe hierzu einen Textauszug aus meinem Brief an den Theologen Jürgen Moltmann in MEIN BRIEF AN PROF. JÜRGEN MOLTMANN hier in FRIDOLIN » INTERESSE WECKEN)

PS: "Was nicht ist, kann noch werden."
Ein Bildchen mit diesem Text hing jahrelang über dem Sofa im Wohnzimmer an der Wand. Wer ihn ausgewählt hatte und warum - ich habe keine Ahnung.
Natürlich verführte er mich, kaum dass ich ihn lesen konnte, zum Nachdenken.