banner fae - FREUDE AM ERKENNEN
ERKENNEN ALS HÖCHSTE LUST

DIE SUCHE NACH DER WAHRHEIT - DAS ERKENNEN DER WAHRHEIT - GIBT ES VIELE WAHRHEITEN?

Galileo Galilei  sah einmal durch sein Fernrohr in den Nachthimmel und entdeckte etwas Seltsames, nie Gesehenes, Unerhörtes, Unglaubliches, Unvorstellbares - er entdeckte etwas am Saturn.
Nein, eigentlich entdeckte er das - in unserem heutigen Verständnis - gar nicht.
Er beschrieb es nämlich "falsch".
Diese seine Beschreibung, sein Versuch, das Gesehene in Worte zu übersetzen, begeisterte mich jedoch aufs höchste. Denn sie ist ein wundervolles Beispiel dafür, wie man die gleiche Wahrheit in verschiedenen Worten, auf verschiedenen Erkenntnisebenen beschreiben kann.

Ihm war am Saturn etwas Komisches aufgefallen, nun, da er ihn nicht mehr nur als Punkt, sondern mit einer gewissen Ausdehnung wahr-nehmen konnte.
Es war absurd, es war eigentlich unmöglich - Galilei fehlten die Worte, es anderen zu beschreiben. Er rang um eine Erklärung und es fiel ihm nichts anderes ein als zu sagen:
                                  Der Saturn hat ja "Henkel"! A1
Es sah zwar aus "wie Henkel" und dem Galileo war vermutlich durchaus bewusst, dass ein Himmelskörper keine Henkel benötigt und auch keine haben kann.
Aber er hatte keine Worte und keine Vorstellungen und keine Möglichkeit des Vergleichens mit bekanntem Wissen, um das (wohl zuerst nur für sich selbst) zu beschreiben, was er da gesehen hatte.

Wir wissen es natürlich besser - wir wissen, dass Galileo Galilei die Ringe des Saturns gesehen hatte.

Wir brauchen uns ihm jedoch überhaupt nicht überlegen zu fühlen. Uns hat man das erzählt, wir haben darüber gelesen, wir haben vielleicht TV-Dokus gesehen, in denen über den aktuellen Stand des Wissens über die Saturnringe berichtet wird.
Wir haben nichts getan, dieses Wissen zu erarbeiten. Wir konsumieren es nur.

Galilei war der erste, der die Ringe des Saturns gesehen hat, auch wenn er sie noch nicht als Ringe erkennen konnte im Rahmen des damaligen Wissens und der damaligen Vorstellungswelt.

Kolumbus hat "Amerika entdeckt", auch wenn er es für Indien hielt.
Was werden kommende Generationen wissen und wie wird unser heutiges Wissen im Vergleich dazu aussehen? Wird es auch so komisch wirken wie uns die Vorstellung von den "Henkeln des Saturns" komisch erscheint?

Das Wissen um die Ringe des Saturns hat sich entwickelt, ist immer umfangreicher und  immer besser geworden. Es ist Quatsch, in diesem Zusammenhang davon zu sprechen, dass es "viele Wahrheiten" über ihn gibt.
Das Wissen, die Wahrheit über den Saturn ist ein Prozess zunehmender Vervollkommnung. Dabei muss natürlich ein Schritt nach dem anderen erfolgen. Niemals kennt man gleich die "ganze Wahrheit".

Ein anderes Beispiel - das Gegenbeispiel sozusagen - macht es vielleicht noch besser deutlich, was ich meine:
Die "Flacherdler" - Leute, die behaupten, die Erde sei eine Scheibe - hatten in letzter Zeit mehrfach von sich hören lassen.
Haben sie "das Recht auf ihre Wahrheit" über die Erde?
Natürlich können sie - wir sind ja schließlich im Land der fast unbegrenzten Meinungsfreiheit - behaupten, die Erde sei eine Scheibe. Sie müssen es sich nur gefallen lassen, dass man ihnen sagt, dass das nicht stimmt, dass es "nicht die Wahrheit ist". Sie müssen es sich gefallen lassen, dass man sie für diese dumme Meinung auslacht.
Komischerweise sind sie den Beweisen für die tatsächliche Form der Erde (in etwa Kugelgestalt) gegenüber nicht aufgeschlossen, nicht bereit, sie sich anzuhören. Es sei alles manipuliert, was die offizielle Wissenschaft behauptet.
So entstehen Verschwörungstheorien.
Ein Erkenntnisfortschritt ist dabei natürlich nicht möglich.


Wie das ist mit der Wortwahl für die Beschreibung von tatsächlich  existierenden Dingen und wirklich passierten Ereignissen, das habe ich auch an anderer Stelle versucht, darzustellen -  in meiner Interpretation des Märchens von den BREMER STADTMUSIKANTEN (in EINMISCHUNGEN » MÄRCHENHAFTES). Dabei breche ich für den angeblich doofen Räuber eine Lanze, indem ich zeige, dass er zwar richtig beobachtete, allerdings falsch interpretierte, was er sah.
Dieses Märchen ist also eine lustige Version des Problems, die Wahrheit zu erkennen:
wie ordnet  man Fakten in ein vorhandenes Weltbild, ein vorhandenes Wissens-System ein, ohne dass diese Interpretation an der Realität vorbei geht.

Manchmal passiert dann das, was der Volksmund so nett beschreibt mit:
"Der sieht ja den Wald vor lauter Bäumen nicht."
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Anmerkung A1 zur Quelle dieser Aussage
Im März 2020 stieß ich zufällig bei einer elektronischen Suche in der "Digitalen Bibliothek" auf eine kleine Randbemerkung in der "Theodicee" von Gottfried Wilhelm Leibnitz (d. h. ich habe die "Theodicee" nicht gelesen; rote Hervorhebung im Zitat von mir - B.K): "Wenn nun der Verstand die falsche Annahme des inneren Sinnes benützt und verfolgt (wie z.B. Galilei glaubte, Saturn habe zwei Henkel), so täuscht er sich durch das Urtheil, welches er über die Wirkung der Wahrnehmung fällt und er schliesst daraus mehr, als sie enthält; ..."Das Zitat ist aus dem Abschnitt „Abhandlung über die Übereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft“, These 65
Mehr weiß ich nicht darüber. Meine Beschreibung oben im Text, wie Galilei "die Ringe des Saturns" entdeckte, ist also nicht "wahr". Ich habe mir nur vorgestellt, wie es gewesen sein könnte.