WISSEN ALS BESTER REICHTUM
"Unser Wissen ist ein Tropfen.
Was wir nicht wissen, ist ein Ozean."
Isaak Newton, engl. Astronom, Mathematiker und Physiker, 1643 - 1727
Was kann der Mensch wissen?
Der Mensch, der viel Wissen speichert, gilt als klug. Wissens-Shows sind groß in Mode. Wie wichtig ist die Fähigkeit, sich schnell viele Fakten einzuprägen? Wo kann sie für das Denken hinderlich werden? Was hat es mit "Fremdwissen" und "Eigenwissen", mit Worthülsen-Wissen und verstehendem Wissen auf sich? Diesen und weiteren Fragen gehe ich in diesem Thema nach.
Erste Gedanken:
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Platon und Voltaire: Über die, die glauben zu wissen, aber nichts wissen
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Erinnern und Vergessen: Wissen ist die Summe aus Lernen und Vergessen - woran wir uns erinnern und warum wir vergessen
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Dummheit und Aufklärung: Macht Wissen Menschen besser?
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Dazulernen oder Umlernen? - Warum es so schwer ist, altes Wissen aufzugeben und neues Wissen zu akzeptieren
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"Neues Elementarteilchen entdeckt" - Ist die Welt, was wir über sie wissen?
Platon und Voltaire:
Über die, die glauben zu wissen, aber nichts wissen
Platon läßt in "Phaidros" Sokrates bezüglich der Rolle von Schrift und Buch sagen:
„Deine Menschen werden jetzt viel, sehr viel lernen, aber alles ohne zugleich darüber eigentlich belehrt zu werden; die Menschen werden dir jetzt viel zu wissen meinen, während sie nichts, nichts wissen.“ Voltaire sagte in seinem Wörterbuch "Abbé Beichtskind Cartesian":
"Sie waren sicher und irrten sich doch." Von ihm ist auch dieser Satz:
"Ärzte schütten Medikamente, von denen sie wenig wissen, zur Heilung von Krankheiten, von denen sie noch weniger wissen, in Menschen hinein, von denen sie gar nichts wissen."
Erinnern und Vergessen:
Wissen ist die Summe aus Lernen und Vergessen -
woran wir uns erinnern und warum wir vergessen
Wissen sei die Differenz zwischen dem Gelernten und dem Vergessenen.
Was ist der Unterschied zwischen einem guten und einem langen Gedächtnis?
Ist "sich erinnern können" das gleiche wie "wissen"?
Die "Gnade des Vergessens" - warum wird sie so betont?
Warum klagen Menschen, "nicht vergessen" zu können?
Wenn man sich dem Rätsel "Wissen" nähern will, muss man sich auch mit dem Erinnern und Vergessen beschäftigen.
Dummheit und Aufklärung: Macht Wissen Menschen besser?
Vor mehr als 45 Jahren sah ich einen
polnischen Kinofilm über Kopernikus. Eine erschütternde Szene ist mir im Gedächtnis geblieben: Kopernikus will mit seinem Bruder zusammen seinen ehemaligen Lehrer, einen Juden, besuchen. Sie kommen mitten in ein Pogrom. Der Lehrer ist tot, vom Mob erschlagen. Wütend und verzweifelt verflucht Kopernikus die Menschen. Da sagt sein Bruder (sinngemäß):
"Nicht die Menschen sind schuld, sondern die Dummheit."
Warum werden solche nachdenkenswerten Filme heute fast gar nicht mehr gezeigt?
Die sogenannte
"Aufklärung" sollte helfen, die aus Dummheit resultierenden Fehler und Verbrechen zu verhindern. Ihr Erfolg ist nicht erkennbar. Der Schrei nach einer neuen Aufklärung geht einher mit einer anderne furchtbaren These:
"Menschen lernen nie, sie müssen erst im Elend stecken, eine furchtbare Kathastrophe erleben, ehe sie anfangen nachzudenken."
Es gibt so etwas wie eine
"Arroganz der Dummheit".
Und es gibt diesen Spruch:
Gegen Dummheit kämpfen Götter selbst vergeblich.
Dazulernen oder Umlernen? - Warum es so schwer ist, altes Wissen aufzugeben und neues Wissen zu akzeptieren
Sich Wissen anzueignen ist eine Prägung ähnlich dem Drucken auf Papier oder dem Prägen von Münzen: ist das Papier oder Metall erst einmal "geprägt", ist diese Prägung meist nicht mehr korrigierbar. Offenbar funktionieren die meisten menschlichen Gehirne ebenso. Es ist noch immer außerordentlich schwierig, Wissen, das einmal als "wahr" erkannt wurde, zu überprüfen und ggf. als "falsch" oder "unzureichend" zu erkennen und sich mit "neuem Wissen" und "neuem Denken" zu beschäftigen.
Genügte es in der Vergangenheit, sich ein Standardwissen "fürs Leben" anzueignen, "explodiert" das Wissen heutzutage in einem atemberaubendem Tempo.
Doch zwischen Wissenanhäufen und "Umlernen" ist ein himmelweiter Unterschied:
Die Geschichte zeigt es:
Noch so viel Wissen über die "Erdscheibe" genügte nicht, das "Kugelmodell" der Erde zu begreifen.
Da es das vorhandene Wissen (fast) wertlos machte, ist es verständlich, dass es von vielen Menschen bekämpft wurde, die stolz auf dieses, ihr bisheriges Wissen waren.
So unvorstellbar es klingt: dieses Problem ist bis heute nicht gelöst:
Wenn Wissen zum "Besitzstand" wird, kann man es nicht auf einmal als "wertlos" betrachten:
In diesem
Dilemma zwischen quantitativem Wissenszuwachs und der Unfähigkeit zu qualitativ neuen Erkenntnissen befinden wir uns gegenwärtig offenbar in der klassischen Situation, dass wir kurz vor einer "Revolution" des Denkens stehen (oder schon mittendrin sind): All das angehäufte Wissen wird (muss !) umschlagen in eine neue Qualität der Erkenntnis. Es muss "aus neuem Blickwinkel" betrachtet werden, aus einer anderen Denkmethode heraus.
Ich komme noch an vielen Stellen auf dieses Problem zurück ...
"Neues Elementarteilchen entdeckt" - Ist die Welt das,
was wir über sie wissen?
Frage: Was war der höchste Berg der Erde, ehe der Mont Everest entdeckt wurde? Antwort: Auch der Mont Everest, aber da wusste es noch keiner.
Manchmal, wenn ich z. B. lese, dass ein "neues Elementarteilchen entdeckt" wurde, denke ich an dieses Frage-Antwort-Spiel und frage mich,
was da "neu" ist - das Teilchen oder unser Wissen über dieses Teilchen?
Es ist das gleiche Denk-Prinzip wie in der obigen Scherzfrage:
Falls es diese Teilchen gibt, gab es sie schon vor ihrer Entdeckung.
Wissenschaftlich exakter wäre es, zu sagen: es wurden "weitere Elementarteilchen entdeckt". Man kann auch sagen: Dieses Elementarteilchen wurde "neu" ("gerade erst", "vor einigen Tagen") entdeckt.
Das Wort "entdeckt" bedeutet ja lediglich, dass etwas "neu" zu unserem Wissen kommt, das wir vorher nicht gewusst haben, das es jedoch bereits vor der Entdeckung gegeben hat.
Auch Amerika gab es lange vor seiner Entdeckung durch die Europäer.
Ein "neues Elementarteilchen" wäre eines, das es vor der Entdeckung nicht gegeben hat.
Hinter diesem Beispiel versteckt sich
ein weit verbreiteter erkenntnistheoretischer Grundfehler - die Gleichsetzung der objektiven Realität, der Wirklichkeit mit dem, was wir über sie wissen. "Neu" kann immer nur unser Wissen über etwas sein: Neue Beobachtungen, neue Theorien, neue Hypothesen, neue Versuchsergebnisse. Das Wort "entdeckt" bedeutet das gleiche wie
"neu erkannt".
Etwas kann "neu entdeckte" sein, im Unterschied von "schon vor Jahren entdeckt".
Um das Ganze noch ein wenig mehr zu verwirren, erwähne ich gern den Ausspruch von Sir Arthur Eddington über Rutherford und sein Atommodell:
"Als uns der verstorbene Lord Rutherford den Atomkern präsentierte, hat er ihn da entdeckt oder erfunden?" Anders gefragt: Gibt es den Atomkern wirklich oder ist dieses Wort nur ein Hilfsmittel, uns ein Bild (Abbild, Modell) von der Realität im Bereich der unsichtbar kleinen Dinge zu machen?
Wo ist die Grenze zwischen der Wirklichkeit und unserem Wissen über sie?