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SATIRICELLA - Schreibereien mit spitzer Feder

MAJESTÄTSBELEIDIGUNG

Das hätten wir uns in Deutschland - 100 Jahre nach Abschaffung der Monarchie - nicht träumen lassen, dass dieses Wort eines Tages wieder Bedeutung erlangen könnte: "Majestätsbeleidigung".

Was ist eine "Majestät" überhaupt? Das Herkunftswörterbuch des Duden Quelle verrät:
          "erhabene Größe, Herrlichkeit, Hoheit",
ein Titel, der fast ausschließlich für Kaiser und Könige verwendet wird.
Majestätsbeleidungen - vorwiegend die in Form von Spott, Satire, Ironie, Häme - wurden schon immer heftigst geahndet. Bei Brot und Wasser und wohl auch in Gesellschaft von Ratten mussten die Spötter den Rest ihres Lebens im Turm verbringen, wenn sie nicht gleich ins Jenseits befördert wurden.
Seit Nero, der seinen "arbiter elegantiarum" (auch "arbiter elegantiae") - seinen auch sehr satirisch veranlagten Berater des guten Geschmacks Petronius - in den Selbstmord trieb, sind die Fälle wohl kaum zu zählen, in denen eine freche Zunge bestraft wurde.

In deutschen Landen stehen Namen wie Till Eulenspiegel und Martin Luther ("Lasset die Geister aufeinander prallen, aber die Fäuste haltet stille.") für den Kampf um die Freiheit des Wortes und der Satire.

Nun (ich notiere dieses am 12.04.2016 und weiß natürlich noch nicht, wie die Sache ausgehen wird) hat es den Satiriker Jan Böhmermann getroffen, der einen Diktator und wohl auch Mörder in höchstem Staatsamt ein bisschen beschimpft hat. War das eine "Majestätsbeleidigung"?

Je diktatorischer die Macht, desto mehr fürchtet sie den Spott der einfachen Leute. Solche Despoten "verstehen keinen Spaß" - und das ist wörtlich gemeint: ihnen geht offenbar jeder Sinn für Humor, für Witz, für das Komische, jede heitere Sicht auf das Leben ab. Verbissen und mit einer Ernsthaftigkeit, die ins Lächerliche spielt, haben sie Angst, ausgelacht zu werden. Ein anderes Lachen als das Aus-Lachen kennen sie vermutlich gar nicht.

Im Märchen von "Des Kaisers neuen Kleindern" steht nicht, was mit dem Kind geschah, das gespottet hatte: "Der Kaiser ist ja nackt!" Gespottet hatte es eigentlich gar nicht, sondern die Wahrheit gesagt, aber das nur nebenbei.
Das unterscheidet gute Satire von bösartiger Verspottung, Beschimpfung und übler Nachrede: dass sie einen ernsten und wahren Kern hat, der kritikwürdige Zustände spöttisch (d. h. "überhöht", etwas verzerrt, sehr wortspielerischen ) widerspiegelt.

Die Medien überschlagen sich über das, was der Böhmermann da in seinem "Schmähgedicht" dem Herrn Erdogan an bösen und unsachlichen Beschimpfungen gesagt hat. Dass er damit nicht vordergründig Erdogan beschimpfen, sondern in erster Linie dessen Einspruch gegen in Deutschland praktizierte Meinungsfreiheit bloßstellen wollte und nur deshalb "Schmähungen" ausgesprochen hat, wirbelt nun Deutschland und die deutsch-türkischen Beziehungen durcheinander.
Wer von den Deutschen, die das Gedicht gehört oder gelesen haben, hat auch nur eine der darin aufgestellten "Behauptungen" über Erdogan geglaubt?
Ist der gesamte Zusammenhang der Aktion von Böhmermann nicht genau der, dass er damit gesagt hat: "Ich stelle jetzt mal Falschaussagen über Erdogan vor, die zeigen sollen, wo Satire ihre Grenzen überschreitet." - ?
Sicher hat er sich dabei köstlich amüsiert, diese Bösartigkeiten gegen Erdogan zu formulieren, das gehört zur Gesamtsituation.
Wenn er meint, sich auf dieses Niveau herablassen zu müssen, dann ist das seine Sache. Niemand muss sich den Böhmermann anhören.

Das in diesem Zusammenhang fallende Wort "Satire-Intoleranz" finde ich bemerkenswert.
Satire muss - das ist ihr Lebenselixier - provozieren, über übliche, genormte (normale) Gedanken hinausgehen. Man muss sie "aushalten" können, sonst macht man sich - wie Erdogan gerade - zum Gespött des heiter veranlagten Teils der Menschheit.

Das gewöhnliche Lästern um des Lästerns willen, wie wir es ja bei vielen Leuten erleben durften (von Stefan Raab über Harald Schmidt bis Mario Barth), mussten wir auch aushalten lernen, dieses "Sich auf Kosten anderer amüsieren" als Selbstzweck.
Vieles war auch dann, wenn man gar nicht selbst betroffen war, kaum zu ertragen in seiner lärmenden Gehässigkeit.
Ich habe  mich aus deren Sendungen also immer schnell wieder rausgezappt.
Auch Satire muss kritisiert werden können - wenn sie niveaulos oder / und geschmacklos daher kommt.

Bis vor einigen Wochen hatte ich Herrn Böhmermann gar nicht wirklich zur Kenntnis genommen. Nun muss ich ihm doch meinen Respekt zollen. Diese Idee mit dem "Schmähgedicht" war wirklich gut überlegt, war intelligent. Natürlich unterstellt er dem Erdogan nicht wirklich die Eigenschaften und Handlungen, die er in diesem Schmähwerk aufzählt. Er hält da nur ein Stöckchen hin - und Erdogan ist gesprungen.
Inhaltlich lehne ich solche "unter die Gürtellinie zielende" Satire eigentlich ab.
Doch hier mache ich eine Ausnahme und schließe mich gern der Auffassung des Springer-Chefs Mathias Döpfner an. Der folgende Ausspruch Döpfners ist entnommen der Website der FAZ
www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/springer-chef-doepfner-ergreift-partei-fuer-boehmermann~ »externer Link«, veröffentlicht am 10.04.2016:
Böhmermann wollte: "die »illiberale Reaktion des türkischen Staatspräsidenten ironisieren und durch Maximalprovokation die Leute verstören, um sie darüber nachdenken zu lassen, wie eine Gesellschaft mit Satire und – noch viel wichtiger – mit der Satire-Intoleranz von Nichtdemokraten umgeht. Ein Kunstwerk.«“
Trotzdem bleibt eine leise Wehmut in Erinnerung an Satire-Zeiten, in denen ein Loriot den Direktor des Frankfurter Zoos, Bernhard Grzimek, mit seiner Betrachtung über die "Steinlaus" ein freundlich-spottendes Denkmal setzte:
in all der Lästerei war die Sympathie zu erkennen, die Loriot für ihn empfand.

Es sind schlimme Zeiten heutzutage, in denen Satire so bösartig ist, vielleicht und leider sein muss, um überhaupt noch aufmerksam machen zu können auf Missstände.
Es ist kein fröhliches Lachen, was da angestoßen wird, es ist ein Lachen, das weh tut, weil es bewusst macht, dass die Zustände trotz allem nicht geändert werden können. Es ist ein Lachen, das einem im Halse stecken bleiben möchte.

Dass diese Satire von Jens Böhmermann so große Wirkung hat, liegt meiner Meinung nach auch daran, dass viele Menschen angesichts der Schändlichkeit des Paktes mit Erdogan in Sachen Flüchtlinge voller Entsetzen sind.

Ich fürchte, ich muss diesen Beitrag in absehbarer Zeit ergänzen.

Nachtrag am 06.12.2016
Das wirkliche Leben ist an der Satire vorbeigerauscht.
Heute, nach dem "Putsch" in der Türkei und der nachfolgenden "Säuberungsaktion" von Erdogan, ist die Welt nicht mehr das, was sie im April noch schien. Die Beziehungen zwischen Deutschland bzw. der EU und der Türkei sind faktisch zusammengebrochen. Nun muss nicht mehr nur Böhmermann vor Erdogan zittern, ganz Europa hat  Angst, was dem Erdogan da noch einfällt und welche Folgen das für Europa und Deutschland haben wird.
Die Satire ist mehr denn je gefordert, den Machtmissbrauch selbsternannter "Majestäten" lächerlich zu machen.
Da könnte man z. B. schon mal spotten:
Wenn doch Erdogan "nur" ein Honecker wäre!


Nachtrag am 31.05.2021
Nun hat es Deutschland selbst erwischt mit der "Satire-Intoleranz".
Als im April diesen Jahres Jan Josef Liefers und andere Schauspieler mit einer Video-Aktion »#allesdichtmachen« an die Öffentlichkeit traten, wurden sie von einer wütenden Hetze überzogen. Was warf man ihnen nicht alles vor: sie hätten die Ärzte und Pflegekräfte, vor allem aber die Opfer der Corona-Pandemie beleidigt und verhöhnt.
Ich hatte den Eindruck, diese Leute, die das behaupteten, hätten die Videos gar nicht gesehen.
Konnten oder wollten sie die Aussage dieser Satire nicht verstehen?

Da ich mir sämtliche der mehr als 50 Videos angesehen hatte, bekam ich Angst.
Warum wurde hier mit einer solchen unüblichen Heftigkeit auf diese Aktion reagiert?
Was müssen die Schauspieler jetzt befürchten?

Gut, einige der Beiträge waren nicht unbedingt mein Geschmack, die meisten waren jedoch intelligent und gut durchdacht und sorgfältig getextet.
Aus allen sprach die Sorge um das, was zur Zeit in Deutschland passiert.
Zum Beispiel wurde kritisch betrachtet:
• die (soll ich sagen "wieder"?) aufkommende Blockwartmentalität,
• der Verlust des Selberdenkens (Liefers: "Verzweifeln Sie, aber zweifeln Sie nicht!"),
• das Verbot, über die Verhältnismäßigkeit der chaotischen Regierungsmaßnahmen nachzudenken,
• die damit verbundene Forderung der Regierung, die immensen psychischen, sozialen, kulturellen und vor allem existenziellen Folgen für sehr, sehr viele Menschen zu ignorieren,
• die Situation vieler Menschen in engen Wohnverhältnissen bzw. der Menschen, die trotz Ansteckungsgefahr die täglich notwendigen Arbeiten erledigen mussten: vom Müllmann bis zum Pizzaboten, die eben nicht "zu Hause bleiben" konnten.

Die Reaktionen der "getroffenen Hunde" gipfelten schließlich in der Forderung eines Politikers nach Berufsverbot für vor allem Jan Josef Liefers.

Zum Glück habe ich inzwischen jemanden gefunden, der die Reaktionen auf #allesdichtmachen ähnlich sieht wie ich:
Der Präsident der Bayrischen Akademie der Schönen Künste, Winfried Nerdinger (*1944), hat der Süddeutschen Zeitung ein Interview gegeben.
Ich habe nur den Text auf www.schwaebische.de ~ externer Link darüber lesen können (für die Süddeutschen muss man ein Abo haben).
Professor Nerdinger wird darin zitiert, er nannte die Aktion u. a.  "gut gemachte, intelligente Denkanstöße", die "ironisch überspitzen, aber keineswegs zynisch ansprechen"und "Wenn man die Schauspieler und die Macher der Aktion so niederbügelt, wie es geschehen ist ..., dann wird das Wesen der Kunst entweder nicht verstanden, oder es soll ganz bewusst außer Kraft gesetzt werden." und "In einigen Jahren, wenn die Pandemie wissenschaftlich nüchtern untersucht und analysiert worden ist, wenn Fehler und Fehleinschätzungen evident geworden sind, werden manche kritischen Stimmen von heute ein anderes Gewicht erhalten."