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PYHSIK, ANDERS GESEHEN

DAS PHÄNOMEN WIRBEL

DER KAMPF GEGEN "KÖNIG WIRBEL"

Für mich war es höchst erstaunlich, von einem "Wirbelatom" zu hören, das von Lord Kelvin als Atommodell entwickelt worden war. Das völlige Verschweigen dieses denkbaren Atommodell in der Lehrdarstellung (Schule und Studium) konnte ich mir nicht erklären. Es war doch auch interessant für die Geschichte der Atommodelle, warum wurde es nicht einmal kurz erwähnt?
Zu weiteren Notizen über das "Wirbelatom": siehe Anmerkung 1A1

Hier will ich diesen "König Wirbel" nutzen, die abfällig geäußerten Ablehnungen von  Wirbelvorstellungen kenntlich zu machen.
Irgendwann hatte ich diese Formulierung gelesen und mich arg verwundert, denn darin sah ich eine unwissenschaftliche Herabsetzung des Phänomens "Wirbel". Doch nun war ich hellhörig geworden - es schien, als hätten Philosophen und Physiker große Probleme mit dem Wirbel.

Diese Formulierung fand ich in
Helmut Seidel
Von Thales bis Platon
Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie
Dietz Verlag Berlin 1982

Er beruft sich auf S. 151 auf einen Theodor Gomperz und dessen Buch "Griechische Denker".
und zitiert daraus einen Athener Bürger:
"Zeus ist nicht entthront; er hat nicht dem »König Wirbel« Platz gemacht,
von dem unsere Himmelsklügler und Sophisten so viel zu reden wissen."

Meine Recherchen haben ergeben, dass etwa zur Zeit von Sokrates (der für "Atheismus" zum Tode verurteilt wurde) der "König Wirbel" ein literarisches Bild für eine Himmelskunde war, die die Götter nicht mehr zur Erklärung der kosmischen Kräfte benötigte.
Zur Zeit von Sokrates waren solche "gottlosen" Darstellungen offenbar gefährlich.
Vielleicht rührt die Abneigung gegen Wirbelvorstellungen also gar aus alten und modernen religiösen Vorstellungen?

Wie diese Abneigung deutlich wird, wie subtil sie gelegentlich formuliert wird, dafür habe ich einige Beispiele aus der Geschichte gefunden:

• die "schlichte Beobachtung" bei Johannes Hirschberger
(siehe Quelle - aus seiner Geschichte der Philosophie)
• die "verzweifelte" Wirbeltheorie von Descartes (aus dem "Mauthner")
Maxwells "molekulare Wirbel" - aus dem Buch des ehemaligen wissenschaftlichen Assistenten Einsteins, Banesh Hoffmann, "Einsteins Ideen - Das Relativitätsprinzip und seine historischen Wurzeln"

Die "schlichte Beobachtung" bei Johannes Hirschberger

In seiner Geschichte der Philosophie Quelle schreibt Hirschberger im Abschnitt Empedokles "Weltbildung"(S. 40f) "Interessant ist dabei besonders, wie Empedokles bei der Erklärung der Weltentstehung die Gedanken der Wirbelbildung, der Urzeugung und der morphologischen Entwicklung verwendet. Indem die Liebe die getrennten Elementarteilchen in einem Wirbel zusammenführte, kam es zur Bildung der ersten Weltkörper. Durch weitere Wirbelbildung sonderten sich ab das Himmelsgewölbe, die Luft, der Äther; und durch den Umschwung aus der Erde das Wasser. Durch Einwirkung der ersten Sonnenstrahlen entstanden auf der Erde die ersten Lebewesen. ..."(Empedokles ca. 492 - 432 v. Chr., aus Sizilien - vermutlich geht auf ihn die Lehre von den vier Elementen zurück)
Hier ist die Beschreibung der damaligen Sichtweise ja noch neutral, doch dann schreibt Hirschberger auch über die Erkenntnisse von Demokrit und Aristoteles, um dann anzuschließen:
(68 A 69). Dem hier wie bei Empedokles schon auftauchenden Wirbelbegriff liegt eine ganz schlichte Beobachtung zugrunde: »Man kann es sehen bei dem Durchsieben von Samen und bei Steinen an der Brandung; denn dort ordnen sich durch das Wirbeln des Siebes gesondert Linse zu Linse, Gerste zu Gerste, Weizen zu Weizen; hier dagegen werden durch den Wogenschlag die länglichen Steine zu den länglichen gerollt, die runden zu den runden, als ob die Ähnlichkeit der Dinge eine gewisse Vereinigung auf sie ausübte« (68 B 164). Wie schlicht auch diese Beobachtung ist, der Wirbelbegriff hat sich gehalten bis in die kosmogonischen Theorien der Neuzeit." (fette Hervorhebung von mir - B.K.
Das "schlicht" trägt hier aus meiner Sicht einen süffisanten Unterton von "einfältig", vor allem, da es noch einmal wiederholt werden muss. Aber ich kann mich auch irren. Andererseits: Bei dieser hübschen Wortwahl "schlicht" ist interessant, dass dieses Wort eigentlich die gleiche Bedeutung hat wie "laminar" - gegenüber "turbulent". )

Mit dem 04.11.2024 neu ist die Seite Hirschberger, J. - Zitate, in der diese obigen Zitate durch weitere interessante Notizen rund um Wirbel und Atom aus der Geschichte ergänzt werden.

Die "verzweifelte" Wirbeltheorie des Descartes

In Fritz Mauthners Wörterbuch der Philosophie - Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache Quelle habe ich diese  Formulierung von der "verzweifelten" Wirbeltheorie gefunden.
Auch Descartes (1596 - 1650) war klar, dass eine Erklärung der Prozesse am Himmel - die Himmelsmechanik - sozusagen "Gott aus dem Himmel schmiss" (meine Formulierung). Deshalb hat wohl auch Descartes etwas "rumgeeiert", um es sich nicht allzu sehr mit der Kirche zu verderben.
Hier gebe ich einen kleinen Auszug aus Mauthners Text wieder:Viel deutlicher kommt die Rücksicht auf die Kirche bei seiner einst berühmten Wirbeltheorie heraus, mit der er die Entstehung unsres Planetensystems erklärte. Nur dass wieder niemand sagen könnte, wie weit Descartes sich dabei bewusst war, der dummen Kirche eine leere Worthülse zum Spielen hinzuwerfen.Aus der Notwendigkeit, gegenüber der Kirche die Erde still stehen zu lassen ohne die Kopernikanischen, Braheschen und Keplerschen Erkenntnisse zu negieren, beschrieb er zudem sehr schön das Phänomen der Relativität der Bewegung:Er sagt (III. 28): Da alle Bewegung etwas Relatives sei,»so könne man sagen, dieselbe Sache sei zugleich bewegt und unbewegt, je nachdem man ihren Ort verschieden bestimme. Daraus folge, daß weder die Erde noch die andern Planeten (er nennt die Erde also einen Planeten) eigentlich (proprie dictum) Bewegung habe, weil sie nicht aus der Nachbarschaft des ihnen unmittelbar anstoßenden Himmelsraumes fortbewegt würden«. Aus diesem Dilemma heraus, die Erde gleichzeitig als bewegt und als ruhend zu beschreiben, - so Mauthner - erfand Descartes diese "verzweifelte Wirbeltheorie":So weit konnte sich der Begründer der analytischen Geometrie vergessen aus Angst vor der Kirche. Er erfand die Wirbelbewegungen des die Planeten umgebenden Himmelsraumes und glaubte dann sagen zu können, daß sich wohl diese Wirbel bewegten, nicht aber die Planeten in ihnen. So könnte jedes Kind die Sprache fälschen und sophistisch sagen, es komme von Hamburg nach New-York, ohne daß es sich bewege; nur das Schiff bewege sich. Nimmt man aber den umgebenden Himmelsraum, die Atmosphäre, als zur Erde gehörig an, was dann?

Der Vorwurf also, der gegen Descartes zu erheben ist, betrifft nicht die Aufstellung der verzweifelten Wirbeltheorie, sondern vielmehr die Inkonsequenz in der Behandlung der Erde und der übrigen Planeten. ...
(Hervorhebung im Text von mir - B.K.)
Die Wirbeltheorie war aus dieser, Mauthners Sicht heraus also keine echte wissenschaftliche Erkenntnis, sondern nur eine Verlegenheitslösung von Descartes.

Maxwells "bizarres Modell" der "molekularen Wirbel"

Noch Banesh Hoffmann sah in seinem Buch "Einsteins Ideen - Das Relativitätsprinzip und seine historischen Wurzeln" Quelle das Modell von Maxwell, in dem er eine mechanische Analogie zu atomaren Vorgängen bezüglich Elektromagnetismus verwendete, als eigentlich überflüssig an. ›Bizarr‹ ist mehr als herabwürdigend für eine so geniale geistige Leistung, wie Maxwell sie mit seinem Modell erbracht hat.
Hoffmann schreibt:
Maxwells Modell - so hoffnungslos bizarr es zunächst erschien - führte ihn auf wunderbare Weise zu seinen Gleichungen für das elektromagnetische Feld, mit denen er alle damals bekannten Gesetzmäßigkeiten bis ins Detail mathematisch beschreiben konnte: die Entdeckungen Ørsteds und die daran anknüpfenden Beobachtungen und Gesetze von Ampere und Faraday. Nachdem Maxwell seine Feldgleichungen aufgestellt hatte, machte er sie zum Fundament seiner Theorie. Auf die Wirbel und Zwischenräder konnte er nun verzichten - sie hatten ihren Zweck erfüllt. An ihre Stelle traten nun neue theoretische Konzepte."Ausführlich gebe ich den Text von B. Hoffmann wieder in Hoffmann, B. - Zitate.

Warum dieses Modell so genial war:
Indem Maxwell gezwungen war, für das Funktionieren seines Modells kleine Zwischenrädchen oder -wirbel einzuführen, hatte er sozusagen die Notwendigkeit von später "Elektronen" genannten "Teilchen" bzw. "Wirbeln" bei der Beschreibung der Struktur der Atome vorweggenommen, lange vor deren Entdeckung!
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Anmerkung 1
Das Kelvinsche Wirbelatom spielte für die Idee zu  meinem Atommodell "FRIDOLIN" eine wichtige Rolle. Ich erwähne es kurz auf der Seite EIN GEDANKEN-PUZZLE (in FRIDOLIN • MEIN FRECHES ATOMMODELL »DIE VORGESCHICHTE).
Das Wirbelatom selbst stelle ich auf der Seite DIE WIRBELSTRUKTUR  (im Thema STRUKTUR DER MATERIE) vor.