DIE BESTEN GEDANKEN AUS KUNST, LITERATUR, PHANTASIE
HERMANN HESSE UND SEIN LEHRSTÜCK "SIDDHARTA" Q
Diese Geschichte zeigt sehr anschaulich, wie wichtig es ist, durch
eigenes, selbstbestimmtes Lernen sein Leben zu gestalten. Die Grenzen eines Lehrers und die Auseinandersetzung mit der allgemein üblichen Vorstellung vom Lernen
(= fremdes Wissen auswendig wiedergeben können, möglichst bequem ohne selbst nachzudenken) stehen im Mittelpunkt. Letztendlich - so zeigt Hesse - kann man nur das als wirkliches Wissen bezeichnen, was man durch eigene Erfahrung, durch Prüfen und Vergleichen, durch intensives Nachdenken als eigenes Wissen erworben hat.
Es gibt verschiedene Schreibweisen:
"Siddharta" oder "Siddhartha". Die erste ist die übliche. Die zweite Version wird in dem diesen Notizen zugrunde liegenden Text verwendet.
Im folgenden gebe ich
nur einen kleinen Auszug interessanter Textstellen wieder. Ich hoffe, ich kann damit Ihre Leselust wecken, diese Geschichte selbst in voller Länger zu lesen.
Der aus meiner Sicht spannendste Satz daraus ist:
Wissen kann man
mitteilen, Weisheit aber nicht.
(Die Zwischenüberschriften zu den folgenden Texten sind von mir eingefügt,
Hervorhebungen durch fette Schriftzeichen sind von mir - B. K.)
Der Durst nach Erkenntnis
Immer habe ich nach Erkenntnis gedürstet, immer bin ich voll von Fragen gewesen. Ich habe die Brahmanen befragt, Jahr um Jahr, und habe die heiligen Vedas befragt, Jahr um Jahr, und habe die frommen Samanas befragt, Jahr um Jahr. Vielleicht, o Govinda, wäre es ebenso gut, wäre es ebenso klug und ebenso heilsam gewesen, wenn ich den Nashornvogel oder den Schimpansen befragt hätte. Lange
Zeit habe ich gebraucht und bin noch nicht damit zu Ende, um dies zu lernen, o Govinda: dass man nichts lernen kann! Es gibt, so glaube ich, in der Tat jenes Ding nicht, das wir 'Lernen' nennen. Es gibt, o mein
Freund, nur ein Wissen, das ist überall, das ist Atman, das ist in mir und in dir und in jedem Wesen. Und so beginne ich zu glauben dies Wissen hat keinen ärgeren Feind als das Wissenwollen, als das Lernen."
„Sprach Govinda: "Dir beliebt es zu spotten. Mögest du immerhin
spotten, Siddhartha! Ist aber nicht auch in dir ein Verlangen, eine
Lust erwacht, diese Lehre zu hören? Und hast du nicht einst zu mir
"
Da lachte Siddhartha, auf seine Weise, wobei der Ton seiner Stimme
einen Schatten von Trauer und einen Schatten von Spott annahm, und
sagte: "Wohl, Govinda, wohl hast du gesprochen, richtig hast du dich
erinnert. Mögest du doch auch des andern dich erinnern, das du von
mir gehört hast, dass ich nämlich mißtrauisch und müde gegen Lehre und
Lernen geworden bin, und dass mein Glaube klein ist an Worte, die von
Lehrern zu uns kommen. Aber wohlan, Lieber, ich bin bereit, jene
Lehre zu hören - obschon ich im Herzen glaube, dass wir die beste Frucht
jener Lehre schon gekostet haben.“
Lehrer und Schüler
An diesem selben Tage gab Siddhartha dem Ältesten der Samanas seinen
Entschluß zu wissen, dass er ihn verlassen wollte. Er gab ihn dem Ältesten zu wissen mit der Höflichkeit und Bescheidenheit, welche dem
Jüngeren und Schüler ziemt. Der Samana aber geriet in Zorn, dass die
beiden Jünglinge ihn verlassen wollten, und redete laut und brauchte
Govinda erschrak und kam in Verlegenheit, Siddhartha aber neigte den
Mund zu Govindas Ohr und flüsterte ihm zu: "Nun will ich dem Alten
zeigen, dass ich etwas bei ihm gelernt habe."
Indem er sich nahe vor dem Samana aufstellte, mit gesammelter Seele,
fing er den Blick des Alten mit seinen Blicken ein, bannte ihn, machte
ihn stumm, machte ihn willenlos, unterwarf ihn seinem Willen, befahl
ihm, lautlos zu tun, was er von ihm verlangte. Der alte Mann wurde
stumm, sein Auge wurde starr, sein Wille gelähmt, seine Arme hingen
herab, machtlos war er Siddharthas Bezauberung erlegen. Siddharthas
Gedanken aber bemächtigten sich des Samana, er mußte vollführen, was
sie befahlen. Und so verneigte sich der Alte mehrmals, vollzog
segnende Gebärden, sprach stammelnd einen frommen Reisewunsch. Und
die Jünglinge erwiderten dankend die Verneigungen, erwiderten den
Wunsch, zogen grüßend von dannen.
Unterwegs sagte Govinda:"O Siddhartha, du hast bei den Samanas mehr
gelernt, als ich wußte. Es ist schwer, es ist sehr schwer, einen alten Samana zu bezaubern. Wahrlich, wärest du dort geblieben, du
hättest bald gelernt, auf dem Wasser zu gehen."
"Ich begehre nicht, auf dem Wasser zu gehen", sagte Siddhartha.
"Mögen alte Samanas mit solchen Künsten sich zufrieden geben!"
Das Rätsel "ICH"
Langsamer ging der Denkende dahin und fragte sich selbst: "Was nun ist
es aber, das du aus Lehren und von Lehrern hattest lernen wollen, und
was sie, die dich viel gelehrt haben, dich doch nicht lehren konnten?" Und er fand: "Das Ich war es, dessen Sinn und Wesen ich lernen wollte. Das Ich war es, von dem ich loskommen, das ich überwinden wollte.
Ich konnte es aber nicht überwinden, konnte es nur täuschen, konnte
nur vor ihm fliehen, mich nur vor ihm verstecken. Wahrlich, kein Ding
in der Welt hat so viel meine Gedanken beschäftigt wie dieses mein Ich,
dies Rätsel, dass ich lebe, dass ich einer und von allen andern
getrennt und abgesondert bin, dass ich Siddhartha bin! Und über kein
Ding in der Welt weiß ich weniger als über mich, über Siddhartha!"
Nun auch ahnte Siddhartha, warum er als Brahmane, als Büßer vergeblich
mit diesem Ich gekämpft hatte. Zu viel Wissen hatte ihn gehindert, zu
viel heilige Verse, zu viel Opferregeln, zu viel Kasteiung, zu viel
Tun und Streben! Voll Hochmut war er gewesen, immer der Klügste,
immer der Eifrigste, immer allen um einen Schritt voran, immer der
Wissende und Geistige, immer der Priester oder Weise. In dies
Priestertum, in diesen Hochmut, in diese Geistigkeit hinein hatte sein
Ich sich verkrochen, dort saß es fest und wuchs, während er es mit
Fasten und Buße zu töten meinte. Nun sah er es, und sah, dass die
heimliche Stimme Recht gehabt hatte, dass kein Lehrer ihn je hätte
erlösen können.
Wissen und Weisheit
Langsam blühte, langsam reifte in Siddhartha die Erkenntnis, das
Wissen darum, was eigentlich Weisheit sei, was seines langen Suchens
Ziel sei. Es war nichts als eine Bereitschaft der Seele, eine Fähigkeit, eine geheime Kunst, jeden Augenblick, mitten im Leben, den
Gedanken der Einheit denken, die Einheit fühlen und einatmen zu können.
Langsam blühte dies in ihm auf, strahlte ihm aus Vasudevas altem
Kindergesicht wider:
Harmonie, Wissen um die ewige Vollkommenheit der Welt, Lächeln, Einheit.
Was man nicht lehren kann
Sprach Siddhartha: "Ich habe Gedanken gehabt, ja, und Erkenntnisse, je
und je. Ich habe manchmal, für eine Stunde oder für einen Tag, Wissen
in mir gefühlt, so wie man Leben in seinem Herzen fühlt. Manche
Gedanken waren es, aber schwer wäre es für mich, sie dir mitzuteilen.
Sieh, mein Govinda, dies ist einer meiner Gedanken, die ich gefunden
habe: Weisheit ist nicht mitteilbar. Weisheit, welche ein Weiser mitzuteilen versucht, klingt immer wie Narrheit." "Scherzest du?" fragte Govinda.
"Ich scherze nicht. Ich sage, was ich gefunden habe. Wissen kann man
mitteilen, Weisheit aber nicht. Man kann sie finden, man kann sie
leben, man kann von ihr getragen werden, man kann mit ihr Wunder tun, aber sagen und lehren kann man sie nicht. "______________________
Quellenvermerk Q
↑Hesse, Hermann,
Siddharta
Leider kann
ich hierzu keine Quellenangaben machen.
Den elektronisch gespeicherten Text habe ich mir im Jahr 2004 von einer inzwischen nicht mehr existierenden Website www.etext.de (oder so ähnlich) heruntergeladen.
Hesse (1877 - 1962) schrieb diese Erzählung im Jahr 1922.
Ich nehme an, es gibt viele gedruckte Ausgaben, welcher soll ich den Vorzug geben?