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Tipler, Frank - Zitate aus
"Die Physik der Unsterblichkeit"

Auf dieser Seite will ich am Beispiel des Buches "Die Physik der Unsterblichkeit" des amerikanischen Physikprofessors Frank J. Tipler zeigen, wie schmal der Grat zwischen wissenschaftlicher Hypothese, die Neues zu denken wagt, und unwissenschaftlicher Spekulation ist.

Zuerst die Quellenangaben:
Tipler, Frank J.
Die Physik der Unsterblichkeit
(The Physics of Immortality)
Moderne Kosmologie, Gott und die Auferstehung der Toten
Piper München Zürich
Aus dem Amerikanischen 1994

Dieses Buch fiel mir Mitte der 1990er Jahre in die Hände, als ich die Bibliothek des damals noch hier in Wittenberg existierenden Kirchlichen Forschungsheims ehrenamtlich eine Zeit betreute.

Es hatte mich damals u. a. angeregt, darüber nachzudenken, wie man Leben physikalisch definieren kann. Dafür bin ich Prof. Tipler wirklich sehr dankbar. Vor allem seine Bemerkung, Autos seien Lebewesen, war außerordentlich fruchtbar für meine weiteren Erkenntnisse über das Leben, die sich in dem Satz zusammenfassen lassen: "Leben ist Bewegung gegen äußere Kräfte."


In den einzelnen Abschnitte auf dieser Seite geht es um …:
1. Die Person Frank J. Tipler - eine wissenschaftliche Autorität
2. Seine Vorstellung, wie man Leben auf Physik reduzieren kann
    (Das bedeutete für ihn z. B., dass Autos leben und Babys
    in externen Fabriken produziert werden.)

3. Den "Kampf ums Dasein" der Autos
4. Nicht mehr und nicht weniger als Sex im Himmel
5. Den "geklauten" Begriff des Omega-Punktes 

1. Die Person Frank J. Tipler - eine wissenschaftliche Autorität

Frank J. Tipler (Jg. 1947) ist Physikprofessor in den USA. Es ist äußerst spannend zu sehen, was für eine "Lehrfreiheit" so ein Physikprofessor im Land der unbegrenzten Möglichkeiten genießt.
Offenbar hat sein Buch mit dem reißerischen Titel in den 90er Jahren nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland rege Debatten ausgelöst.

Interessant ist seine Haltung zu anderen wissenschaftlichen Autoritäten. Vielleicht hat er die Hoffnung, andere mögen mit seinem Gedankengut ähnlich umgehen, wie er hier beschreibt. Dieses Zitat ist zwar aus dem Zusammenhang gerissen, aber dadurch wird der Inhalt der Aussage nicht entstellt:

(S. 150)
Einen Wissenschaftler, der die von seinen Kollegen geteilten Ansichten übernimmt - wie falsch sie auch sein mögen - , kann man kaum der Unwissenschaftlichkeit zeihen.

Das Problem bei Tipler sehe ich nicht darin, dass seine Erkenntnisse sich nicht eines Tages sogar als richtig erweisen könnten (anders ausgedrückt, dass sie von vornherein als falsch angesehen werden müssen). Das Problem ist, dass er die Ebene der wissenschaftlichen Methodik verlassen hat. Was er anbietet, ist - mal ganz "positiv" betrachtet - reine Hypothese.
Oder Spekulation und Spinnerei. Hier folgen nun einige seiner Gedanken:

2. Seine Vorstellung, wie man Leben auf Physik reduzieren kann

(Das bedeutete für ihn auch, dass Autos leben und männliche Babys in externen Fabriken produziert werden.)
Es mag auf den ersten Blick etwas erstaunlich wirken, doch die von Tipler beschriebene physikalische Sicht auf Lebens als Informationsweitergabe ist nachdenkenswert. Unter anderem schließt diese Definition Autos als Lebewesen ein und macht so deutlich, dass die buddhistisch-asiatische Nicht-Trennung  von Leben und Nichtleben auch in unserer Vorstellungswelt möglich ist.
Hier einige Zitate: 

(S. 165)
"Leben ist durch natürliche Auslese bewahrte Information."

"Jeder Versuch, Leben auf Physik zu reduzieren, wird unweigerlich zu diesem Ergebnis führen."

"Bei menschlichen Aktivitäten wie Zuhören, Genießen, Nachdenken, Beten und Lieben handelt es sich um geistige Aktivitäten, die einer geistigen Aktivität im Gehirn entsprechen. Mit anderen Worten: Auf physikalischer Ebene handelt es sich um Informationsverarbeitung und um nichts sonst."

Soweit so gut - Reduktionismus ist eine anerkannte Methode, ohne die die Wissenschaft nicht weiterkommt.
Deshalb ist sein Gedankenansatz, "Leben auf Physik zu reduzieren" noch nicht unwissenschaftlich.
Auch seine Gedanken über Muster sind nachvollziehbar und wissenschaftlich brauchbar:

Muster- so Tipler sinngemäß - wurden z.B. in der Entwicklung der Welt von den Metallkristallen auf ein anderes Substrat (Kohlenstoffmoleküle) übertragen, denn
(S. 164ff, fette Hervorhebungen von mir - B.K.)
„Wichtig ist nicht das Substrat, sondern das Muster, und Muster ist nur ein anderer Name für Information.
Doch ist Leben natürlich kein statisches Muster. Vielmehr handelt es sich um ein dynamisches Muster, das in der Zeit fortdauert, mithin um einen Prozess. Aber nicht alle Prozesse „leben“. Das wichtigste Merkmal „lebender“ Muster ist, dass ihre Fortdauer auf einem Feedback mit ihrer Umgebung beruht: Die in dem Muster codierte Information variiert ständig, aber diese Varianz wird durch das Feedback auf eine enge Bandbreite eingeschränkt. Leben ist folglich, wie bereits erwähnt, durch natürliche Auslese bewahrte Information.
Einige Folgen, die sich aus dieser Definition von Leben ergeben, leuchten nicht ohne weiteres ein. 1986 wiesen John Barrow und ich darauf hin, dies bedeute unter anderem, dass Autos leben. Sie reproduzieren sich in Automobilfabriken und bedienen sich dabei menschlicher Mechaniker. Zugegeben, ihre Reproduktion ist nicht autonom; sie brauchen eine Fabrik außerhalb ihrer selbst. Das gleiche gilt für männliche Menschen: Zur Produktion eines Babys brauchen sie eine externe biochemische Fabrik, genannt „Gebärmutter“. Zugegeben, für ihre Reproduktion brauchen sie eine andere lebende Spezies*. Aber dies gilt auch für die Reproduktion von blütentragenden Pflanzen: Sie benutzen Bienen zu ihrer Befruchtung und Tiere, um ihre Samen zu verbreiten.
* Hier meint er offensichtlich wieder die Autos.

Es mag etwas seltsam klingen, doch auch diese Ausführungen sind - im Rahmen des Denkmodells von Tipler - nicht "unwissenschaftlich". Nur, weil er ungewöhnliche Definitionen einführt und ungewöhnliche, absurd erscheinende Schlussfolgerungen zieht, muss dieser Gedankengang noch nicht im streng logischen Sinne falsch sein. Für mich als Mutter nicht nur einer Tochter, sondern auch eines Sohnes ist es schon mehr als "gewöhnungsbedürftig", mich als "externe biochemische Fabrik" zu sehen. Doch solche subjektiven Empfindungen sind nun einmal kein Maß für Wissenschaftlichkeit.

Die eigentliche Frage ist: Bringt sein Gedankengang wirklich eine neue Erkenntnis?

3. Der "Kampf ums Dasein" der Autos

Auch in dem folgenden Gedanken Tiplers ist noch kein Bruch mit der wissenschaftlichen Denk-Methode enthalten. Er verbindet den Darwinismus mit seinem eigenen Lebensbegriff und stellt fest, dass sich dabei eine Übereinstimmung erkennen lässt:
(S. 164)
Die Form von Automobilen in ihrer Umgebung ist das Ergebnis natürlicher Auslese: Zwischen den verschiedenen „Auto-Rassen“ herrscht erbitterter Existenzkampf. Japanische und europäische Autos kämpfen mit amerikanischen um die knappen Ressourcen - Geld für den jeweiligen Hersteller - und dieser Konkurrenzkampf wird dazu führen, dass entweder mehr amerikanische oder mehr japanische oder mehr europäische Autos gebaut werden. Gemäß meiner Definition von Leben sind nicht nur Autos, sondern alle Maschinen - insbesondere Computer - lebende Wesen (obwohl Autos natürlich keine „Personen“ sind).
Doch bei dem, was Prof. Tipler nun anbietet, wird es schwieriger, darin noch einen wissenschaftlichen Wert zu erkennen, denn nun wird er zum Heilsverkünder für eine jenseitige Welt, auch wenn die Menschen nur in einem Computer "wiederbelebt" werden.

4. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als Sex im Himmel

(S. 314ff  - auch hier sind die Hervorhebungen im Text von mir - B.K.)
Meine Studenten - hauptsächlich unverheiratete junge Männer - fragen mich oft: »Gibt es im Himmel Sex?« .... Ja, wer Sex wünscht, wird ihn haben. Diese Konsequenz der agape steht im deutlichen Widerspruch zur Himmelsvorstellung der akademischen Theologen, die offenbar der Ansicht sind, dass dem Menschen nach dem Tode nur geistige Genüsse gestattet seien. ...
Die Probleme allerdings, die Sex in unserem derzeitigen Leben mit sich bringt, werden uns nach der Auferstehung erspart bleiben. Die Schwierigkeiten der gegenwärtigen Menschen, einen Liebespartner zu finden, gehen darauf zurück, dass der Sex- / Heiratsmarkt ein durch lange Zeiten der Suche und hohe Transaktionskosten geprägtes Tauschgeschäft ist. Die wiedererweckten Menschen werden dieses Problems enthoben sein, denn der Omegapunkt kann Partner zusammenbringen, die zueinander passen .... Um es (für unverheiratete Männer) drastisch auszudrücken: Jeder Mann könnte sich nicht nur mit der schönsten Frau der Welt paaren, nicht nur mit der schönsten Frau, die je gelebt hat, sondern sogar mit der schönsten Frau, deren Existenz logisch möglich ist. Denn das Erscheinungsbild des auferweckten Körpers ist wandlungsfähig, und deshalb wäre es dem Omegapunkt ein leichtes, dafür zu sorgen, dass besagter Mann ebenfalls der hübscheste (oder begehrenswerteste) Mann für die schönste Frau wäre .... Dieses Erfordernis muss notwendigerweise erfüllt werden, denn aus der Sicht des Omegapunktes zählen die Wünsche von Männern und Frauen gleichermaßen. ... Die Wirkung nimmt sogar noch erheblich zu, wenn wir zusätzlich zur äußeren Erscheinung die Persönlichkeit berücksichtigen, aber selbst ohne diesen Zusatz wäre der Effekt größer, als das menschlich Nervensystem verkraften könnte. .... Das Prinzip der Nichtbefriedigung wird bei wiedererweckten Menschen nicht mehr gelten.

5. Der "geklaute" Begriff des Omega-Punktes

Wahrscheinlich kennen Sie den "Omega-Punkt" nicht und können so auch nicht verstehen, was Tipler da sagen will. Der Begriff geht auf Pierre Teilhard de Chardin zurück, einen Jesuitenpater und Wissenschaftler, der es mit seinem Buch "Der Mensch im Kosmos" immerhin auf den Index des Vatikans geschafft hatte.
Teilhard de Chardin sah im Omegapunkt den Zielpunkt und Richtungsgeber sowie die Triebkraft der Evolution nicht nur des Lebens auf der Erde, sondern des ganzen Kosmos. Wenn man so will, hat er zur Aristotelischen "causa finalis", der Zielursache allgemein, ein Anwendungsbeispiel geschaffen.

Hier bei Tipler nun passiert etwas so Schamloses, dass man sich als Wissenschaftler schämt, solche Berufskollegen zu haben: Tipler klaut den Begriff und vereinnahmt ihn für sich. Er benutzt das Bild, das Teilhard de Chardin damit zeichnen wollte, um seine eigenen Gedanken aufzuhübschen. So etwas nennt man gewöhnlich "sich mit fremden Federn schmücken". Es ist eine Form von Plagiat der hinterhältigsten Art.

Das ganze Buch Tiplers befasst sich immer wieder mit dem Omegapunkt. Doch Tipler betont ausdrücklich, dass er mit dem, was Teilhard de Chardin darunter verstand, nicht das geringste zu tun hat. Warum kann er nicht zugeben, dass das Buch von Teilhard de Chardin ihn erst auf die Gedanken gebracht hat, die er in diesem Buch schildert? Wenn es jedoch nicht so war, dann ist es nicht ersichtlich, warum er dann nicht gleich einen anderen Begriff für das, was er darstellen will, geprägt bzw. gewählt hat. Zumindest das könnte man von einem seriösen Wissenschaftler erwarten!
Das komische an der Sache ist, dass er eigentlich gar nicht verstanden hat, was Teilhard de Chardin mit dem Omega-Punkt meinte. Seine eigene Darstellung ist nur wie ein Schatten des Originals. Hier möchte ich abschließend ein Zitat aus dem Buch bringen, in dem Tipler seine "überlegene" Haltung gegenüber Teilhard de Chardin auf den Punkt gebracht hat:
(S. 147)
Der Begriff »Omegapunkt« stammt nicht aus Werken von Physikern wie Bernal oder Dyson, sondern aus dem des Paläontologen Teilhard de Chardin. (Wohlgemerkt, dieser Begriff ist Teilhards einziger wissenschaftlicher Beitrag zu diesem Buch. Im Wissenschaftlichen Anhang wird er nicht einmal erwähnt.)

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Das Buch  von Pierre Teilhard de Chardin "Der Mensch im Kosmos"
stelle ich hier vor:
TEILHARD DE CHARDIN (in DIE BESTEN GEDANKEN » PHILOSOPHIE + ETHIK)