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Lenin, W. I. (1a) - Zitate
aus "Materialismus und Empiriokritizismus"

Die Zitate auf dieser Seite  befassen sich mit Lenins Sicht auf die damalige Physik. Aus seine Ausführungen zu Materie ("Materiedefinition") und zum Verhältnis von Materialismus und Idealismus zitiere ich in Lenin, W. I. (1b)- Zitate

Die amerikanische Professorin Lisa Randall Namen hat sich vor einigen Jahren mit einer Aussage von Lenin Namen in diesem seinem wichtigsten philosophischen Werk "Materialismus und Empiriokritizismus" befasst, anders gesagt: sie hat ihn dafür heftig kritisiert - Anlass für mich, dieses Buch nach rund 40 Jahren noch einmal in die Hand zu nehmen und dort den Originaltext nachzulesen.

Das Werk war Pflichtlektüre  in der DDR beim Studium. Vor allem war seine philosophische Materie-Definition die Basis auch für den physikalischen Materiebegriff, wie er in der DDR gelehrt wurde.
Die ist aus meiner Sicht deshalb so wichtig, weil ich nach der Wende erleben musste, dass dieser physikalische Materiebegriff im Westen ganz anders gehandhabt wurde, als ich es kannte: unexakt, uneindeutig, veraltet-einseitig unter Vernachlässigung des energetischen Aspekts der Materie an die Masse gebunden ...

Was hat Lenin also gesagt, das den Unmut  bzw. Spott der angesehenen amerikanischen Physikprofessorin erregte?
"Das Elektron ist unerschöpflich".
Also nahm ich das alte Buch noch einmal in die Hand und fand neben dem Zitat selbst noch weitere Aussagen, die interessante Details über den damaligen Erkenntnisstand in der Physik verraten. Einige davon habe ich hier übernommen. Ich werde später sicher an anderer Stelle noch einmal darauf zurückgreifen können.


• Das Zitat etwas ausführlicher
S. 314:
(Die Rechtschreibung in den Zitaten ist der heutigen Rechtschreibung angepasst. Rot-fette oder einfach fette Hervorhebungen im Text sind von mir - B.K. Die Seitenzahlen sind der Einzelausgabe entnommen - siehe Quellen.)

Das Elektron ist ebenso unerschöpflich wie das Atom, die Natur ist unendlich, aber sie existiert unendlich, und eben diese einzig kategorische, einzig bedingungslose Anerkennung ihrer Existenz außerhalb des Bewusstseins und außerhalb der Empfindung des Menschen unterscheidet den dialektischen Materialismus vom relativistischen Agnostizismus und vom Idealismus.

Auf diese Textstelle greife ich auf der Seite DAS "UNERSCHÖPFLICHE" ELEKTRON? (in GRUNDFRAGEN DER PHYSIK » STRUKTUR DER MATERIE » GRENZENLOSE TEILBARKEIT?) zurück.

•Lenin über den damaligen Erkenntnisstand in der Physik
Einleitend im Kapitel V (S. 299) betont er, dass es ihm um
"die erkenntnistheoretischen Schlussfolgerungen, die aus der »modernen« Physik gezogen werden"

geht, die vielfach ignoriert werden. Er setzt sich dann mit diversen Aussagen von Physikern und Philosophen auseinander.
Aus heutiger Sicht ist es durchaus interessant, die damaligen Formulierungen bzw. die Wortwahl bei der Beschreibung dieser neuen physikalischen Erkenntnisse zu lesen. Zum Beispiel herrschte damals noch die Vorstellung eines "Äthers". Auf diesen Begriff greift Lenin natürlich auch zurück.

Hier eine kleine Auswahl damaliger Vorstellungen:
S. 300
Es wurde beispielsweise entdeckt, dass Licht und Elektrizität Äußerungen ein und derselben Naturkraft sind. Mit jedem Tage wird es wahrscheinlicher, dass die chemische Affinität sich auf elektrische Vorgänge zurückführen lässt. Die unzerstörbaren und unzerlegbaren Elemente der Chemie, deren Zahl gleichsam zum Hohn auf die Einheit der Welt noch fortwährend wächst, erweisen sich als zerstörbar und zerlegbar. Es gelang, das Element Radium in das Element Helium überzuführen.

Es ist für mich wirklich interessant zu sehen, wie gut Lenin über die damals aktuellsten Erkenntnisse in der Physik informiert war.
Er zitiert dann einen anderen Autor, einen J. Diner-Denes (obiges Zitat wird direkt fortgesetzt:):
„So wie die Naturkräfte auf eine Kraft, sind mit dieser Erkenntnis auch alle Naturstoffe auf einen Stoff" (hervorgehoben von J. Diner-Denes) „zurückgeführt." Der Verfasser zitiert die Ansicht eines der Gelehrten, die das Atom nur für verdichteten Äther halten und ruft: „Wie glänzend ist damit Engels' Ausspruch gerechtfertigt: Die Bewegung ist die Daseinsweise der Materie." „Alle Naturerscheinungen sind Bewegung, und die Unterschiede zwischen ihnen bestehen nur darin, dass wir Menschen diese Bewegung in verschiedenen Formen wahrnehmen . . . Es ist, wie Engels gesagt hat. Ganz ebenso wie die Geschichte, wird auch die Natur von dem dialektischen Bewegungsgesetz beherrscht."



S. 301
Die Krise der modernen Physik
Die Entdeckung des Elektrons, die Elektronentheorie, die Frage nach der Elektrizität und die Masse- bzw. Energieerhaltung sind offenbar die wesentlichsten Ursachen dieser von Lenin so bezeichneten Krise. Dass Elektronen ihre Masse geschwindigkeitsabhängig ändern, hat offenbar bereits in der klassischen Physik großes Nachdenken ausgelöst, lange vor Einsteins Relativitätstheorie. Er greift dann auf das Buch von Henri Poincaré „Der Wert der Wissenschaft“ zurück und zitiert einzelne Textpassagen daraus

Bezüglich dieser Geschwindigkeitsabhängigkeit der Elektronenmasse schreibt Poincaré lt. Lenin:

Unter diesen Umständen muss eine zweifache Masse des Elektrons in Betracht gezogen werden entsprechend der Notwendigkeit, die Trägheit, erstens des Elektrons selbst und zweitens die des Äthers zu überwinden. Die erste Masse wird die reale oder mechanische Masse des Elektrons sein, die zweite „die elektrodynamische Masse, die die Trägheit des Äthers darstellt". Und nun erweist sich die erste Masse gleich Null. Die ganze Masse der Elektronen, oder wenigstens der negativen Elektronen, erweist sich ihrem Ursprung nach gänzlich und ausschließlich als elektrodynamisch. Die Masse verschwindet. Die Grundlagen der Mechanik werden untergraben. Untergraben wird das Prinzip Newtons, die Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung, usw.100
Anmerkung 100 - S. 465f
(nicht von Lenin, sondern von den Herausgebern seines Buches in der DDR - aus "heutiger Sicht", also ca. 1975 herum)
Die Charakteristik des Begriffs Masse, die Henri Poincare gibt und die von W. I. Lenin angeführt wird, entspricht dem damaligen Entwicklungsstand der Physik. Die der Entdeckung des Elektrons folgende Entwicklung der Elektronentheorie ermöglichte es, die Natur der Elektronenmasse zu erklären. J. J. Thomson stellte eine Hypothese auf, nach der die eigentliche Masse des Elektrons durch die Energie seines elektromagnetischen Feldes bedingt ist ( d. h., das Beharrungsvermögen des Elektrons entspringt dem Beharrungsvermögen des Feldes); es wurde der Begriff der elektromagnetischen Masse des Elektrons eingeführt, die von der Geschwindigkeit seiner Bewegung abhängt; die mechanische Masse des Elektrons aber, ebenso wie die jedes beliebigen anderen Teilchens, galt als unveränderlich. Das Vorhandensein der mechanischen Masse sollte durch Experimente nachgewiesen werden, die man zur Untersuchung der Abhängigkeit der elektromagnetischen Masse des Elektrons von der Geschwindigkeit anstellte. Diese im Jahre 1901/1902 von W. Kaufmann durchgeführten Versuche ergaben jedoch ganz unerwartet, dass das Elektron sich so verhält, als ob seine ganze Masse elektromagnetisch sei. Daraus wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass die mechanische Masse, die früher als unabdingbare Eigenschaft der Materie galt, beim Elektron verschwinde. Dieser Umstand diente als Vorwand für die verschiedenartigsten philosophischen Spekulationen und Erklärungen über ein „Verschwinden der Materie", deren Unhaltbarkeit W. I. Lenin nachwies. Die weitere Entwicklung der Physik (Relativitätstheorie) zeigte, dass die mechanische Masse ebenso von der Geschwindigkeit der Bewegung abhängt und dass die Masse des Elektrons nicht gänzlich auf die elektromagnetische Masse reduziert werden kann.
(zu S. 302)
Der Abschnitt  2. "Die Materie ist verschwunden"
Da der Physiker Hans-Peter Dürr (1929 - 2014) ein Buch „Es gibt keine Materie“ geschrieben hat, werde ich zu diesem Gedanken vom Verschwinden bzw. von der Nichtexistenz der Materie einen gesonderten Text erstellen.
Wahrscheinlich hat Herr Dürr die Materiedefinition von Lenin
nicht gekannt ... ;-)

Hier möchte ich dazu vorerst nur anmerken:
Die Idee, dass „die Materie verschwindet“ lässt sich aus der philosophischen Definition des Materiebegriffs von Lenin einfach betrachten:
Die konkrete Struktur der Materie ist nicht ausschlaggebend für die Frage nach der Existenz der Materie (der objektiven Realität).
Wenn neue Erkenntnisse zu ihrer Struktur gefunden werden, bleibt die Materie als solche weiter existent, egal, ob - wie in Lenins Schrift zitiert, verschiedene Wissenschaftler meinen: „Das Atom ist entmaterialisiert.“ und „Die Materie verschwindet.“(L. Hlullevigue) „dass die Elektronentheorie »nicht so sehr eine Theorie der Elektrizität, als vielmehr der Materie sei, das neue System setzt geradezu die Elektrizität an Stelle der Materie«“ (Augusto Righi)
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Aus dem Inhaltsverzeichnis zu diesen Textstellen:

Kapitel V
Die neueste Revolution in der Naturwissenschaft und der philosophische Idealismus                                                           S. 299
1. Die Krise der modernen Physik                             S. 301
2. "Die Materie ist verschwunden"                             S. 309 bis 317