Banesh Hoffmann
Zitate aus dem Buch "Einsteins Ideen
Das Relativitätsprinzip und seine historischen Wurzeln"
Banesh Hoffmann
Einsteins Ideen Das Relativitätsprinzip und seine historischen Wurzeln
Spektrum Akademie Verlag Heidelberg, Berlin, New York 1997
aus dem Amerikanischen übersetzt von Hajo Suhr
ISBN 3 - 8274 - 0252 - 2
Banesh Hoffmann
Der Textauszug über die Entwicklung der Ideen Maxwells ist aus dem Kapitel:
4. Der Umsturz des Newtonschen Relativitätsprinzips durch die Optik,
S. 86ff
Banesh Hoffmann (1906 - 1986):
Die Beschreibung seiner Person in dem Buch ist noch zu seinen Lebzeiten angefertigt worden, die 1. Auflage erschien auf deutsch im Jahr 1988.
1. Zur Person des Autors
2. Maxwells elektrisches Fluidum
3. Maxwells Modell der molekularen Wirbel
4. Die trennenden kleinen Wirbelteilchen
1. Zur Person des Autors
"Banesh Hoffmann war in den dreißiger Jahren wissenschaftlicher Assistent bei Albert Einstein und ist heute emeritierter Professor am Queens College of Cuny. Er studierte Mathematik und schloss sein Studium an der Princeton-Universität mit der Promotion ab. 1935 ging er an das Institute for Advanced Study, wo er mit Einstein und Leopold Infeld zusammengearbeitet hat. Hoffmann ist Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Gesellschaften in Amerika. Er hat mehrere Bücher geschrieben, darunter (zusammen mit Helen Dukas) die Einstein-Biographie Einstein - Schöpfer und Rebell, für die er mit dem Science Writing Award des American Institute of Physics der U. S. Steel Foundation ausgezeichnet wurde."
Der Übersetzer Hajo Suhr
"ist Physikprofessor an der Fachhoschule für Technik in Mannheim ..."
2. Maxwells elektrisches Fluidum
"Maxwell ließ sich zunächst von Thomsons Ansatz leiten, als er das Problem des Elektromagnetismus anging. Er untersuchte die mathematischen Beziehungen zwischen elektrischen Kraftlinien und Strömungen in einer Art Flüssigkeit — in einem spekulativen Fludium, das sich unendlich weit ausdehnen sollte. Maxwell stellte sich vor. dass Fludium von den elektrischen Ladungen eines Vorzeichens zu Ladungen entgegengesetzten Vorzeichens strömt. Indem er die auftretenden Drücke bestimmte, konnte er präzise die Anziehung und Abstoßung zwischen den Ladungen ausrechnen. Auch für den Magnetismus fand er eine ähnliche Analogie. Aber bei der elektromagnetischen Induktion konnte Maxwell keinen plausiblen Strömungsmechanismus finden. Er setzte daher einfach fest, dass seine Strömungslinien sich in einer Weise verhielten, die das Faradaysche Induktionsgesetz erfüllte. Der Bereich elektromagnetischer Phänomene, den Maxwell mit seinem neuen mathematischen Ansatz erfasste, war enorm. Seine mathematische Analogie befand sich aber noch im Stadium der Erprobung. Dazu äußerte er sich sehr deutlich in seiner Publikation Über Faradays Kraftlinien:
»Ich bilde mir nicht ein, dass sie auch nur den Schatten einer wahren physikalischen Theorie enthalten; ihr Hauptverdienst als ein provisorisches Werkzeug zu weiteren Untersuchungen ist vielmehr, von jeder vorgefassten Meinung frei zu sein.«
Auffällig ist, dass Maxwell - wie vor ihm auch Thomson - ein Medium betrachtete, das ein Pendant zu Faradays Feldvorstellung darstellt. Das Feld, also die dichtgedrängten Kraftlinien im Raum, hatte Faraday als grundlegend angesehen. Jede Theorie, die an diese Vorstellung anknüpfen wollte, musste von Feldern im leeren Raum handeln.
Maxwell wandte sich 1861 erneut dem Problem des Elektromagnetismus zu - etwa sechs Jahre, nachdem er die oben beschriebenen Untersuchungen durchgeführt hatte und erstmals mit Faraday zusammengetroffen war. Diesmal ging er über eine rein mathematische Analogie hinaus. Er entwarf das kühne mechanische Modell eines Äthers, der mit den elektromagnetischen Phänomenen einhergeht und deren Gesetzmäßigkeiten bedingt. Erinnern wir uns an Ørsteds Vorstellung, dass elektrische Ströme von einer Art magnetischem Wirbel umgeben sind, der Magnetnadeln zu bewegen vermag. Ampere war nach sorgfältigen Untersuchungen zu der Schlussfolgerung gelangt, dass Magnetismus ein Sekundäreffekt ist, der von elektrischen Kreisströmen herrührt. Es ist interessant, all dies mit Maxwells neuer Idee zu vergleichen. Er begann seine Untersuchung mit einer Betrachtung des reinen Magnetismus. Wie Faraday und Thomson beschrieb auch Maxwell den Magnetismus als eine Rotation. Er veranschaulichte diese Rotation mit dem Begriff des Äthers, der aus winzigen rotierenden molekularen Wirbeln bestehen sollte; die magnetischen Kraftlinien sollten dann an jedem Ort längs der Rotationsachse des dortigen molekularen Wirbels liegen. Eine Umkehrung des Drehsinnes käme dann einer Umkehrung der Kraftlinienrichtung gleich. In seinen grundlegenden Annahmen unterschied sich Maxwell also von Ørsted, der weit ausgedehnte Wirbel um die elektrischen Ströme vermutet hatte. Von Ampere wich er dahingehend ab, dass er dem Magnetismus eine primäre Bedeutung beimaß und dass er die Vorstellung einer Fernwirkung ohne materielles Medium vermied, indem er das Feldkonzept benutzte."
3. Maxwells Modell der molekularen Wirbel
"Nachdem Maxwell das Modell der molekularen Wirbel entwickelt hatte, wandte er sich der Reibungsproblematik zu. In einem glatten magnetischen Feld müssten die molekularen Wirbel innerhalb eines größeren Gebietes nämlich alle im selben Drehsinn rotieren. Dann aber würden sich die Ränder benachbarter Wirbel an ihren Berührungspunkten in entgegengesetzter Richtung bewegen und sich unter Reibung streifen. Maxwell benötigte jedoch Nachbarwirbel, die sich ohne Reibung im selben Sinn drehen konnten. Dieses Problem war bereits für die Konstruktion von Zahnradgetrieben gelöst: Dort führt man Zwischenräder ein. Die Abbildung links zeigt, wie ein gegen den Uhrzeigersinn rotierendes Zwischenrad bewirken kann, dass sich zwei Zahnräder ohne (Gleit-)Reibung im Uhrzeigersinn drehen können. Aufgrund dieser Überlegung führte Maxwell eine Trennschicht aus winzigen Kügelchen zwischen benachbarten molekularen Wirbeln ein."
4. Die trennenden kleinen Wirbel-Teilchen
Anmerkung - B.K.: Die im folgenden erwähnte Abbildungen habe ich nicht übernommen. Die Beschreibung ist sehr anschaulich.
"Das zeigt die Abbildung rechts, die nach einer Illustration von Maxwell gezeichnet wurde. Sie verdeutlicht, wie sich die molekularen Wirbel durch eine einzige Schicht von Kügelchen trennen lassen. aber es stellt sich sofort die Frage, ob die einander berührenden Kügelchen nicht selber gerade die Art von Reibung untereinander erzeugen, die sie beseitigen sollen. Was waren das überhaupt für Kügelchen? Waren sie nur ein Schmiermittel zur Minderung der Reibung, mit dem ein schlechtes wissenschaftliches Gewissen beschwichtigt werden sollte? Keineswegs. Zwar hatte Maxwell die Kügelchen als Teilchen im Dienste der Wirbelbewegung eingeführt, aber er schrieb ihnen dann doch einen zentralen Stellenwert zu, indem er ihre Translationsbewegung mit dem elektrischen Strom identifizierte und ihnen so eine elektrische Bedeutung gab. Maxwells elektromagnetisches Modell bestand somit aus einem System von Wirbeln und sie umgebenden Teilchen. Er äußerte sich in seiner Arbeit Über Physikalische Kraftlinie recht unverblümt zu seinem System molekularer Wirbel:
»Die Vorstellung von Teilchen, deren Bewegung durch die Bedingung bestimmt ist. dass sie an den beiderseits anliegenden Wirbeln ohne Gleitung rollen, mag einigermaßen unbefriedigend scheinen. Ich will sie nicht als die richtige Ansicht über das, was in der Natur existiert, oder als eine Hypothese über das Wesen der Elektrizität im bisherigen Sinne dieses Wortes angesehen wissen. Diese Art der Verbindung ist jedoch mechanisch denkbar, leicht zu untersuchen und geeignet, die wirklichen mechanischen Beziehungen zwischen den bekannten elektromagnetischen Erscheinungen darzustellen. Ich stehe daher nicht an zu glauben, dass jeder, der den provisorischen Charakter dieser Hypothese richtig aufgefasst hat, durch dieselbe bei Untersuchungen über die wahre Deutung der Phänomene nicht mehr gefördert als gehemmt werden wird.«
Maxwells Modell - so hoffnungslos bizarr es zunächst erschien - führte ihn auf wunderbare Weise zu seinen Gleichungen für das elektromagnetische Feld, mit denen er alle damals bekannten Gesetzmäßigkeiten bis ins Detail mathematisch beschreiben konnte: die Entdeckungen Ørsteds und die daran anknüpfenden Beobachtungen und Gesetze von Ampere und Faraday. Nachdem Maxwell seine Feldgleichungen aufgestellt hatte, machte er sie zum Fundament seiner Theorie. Auf die Wirbel und Zwischenräder konnte er nun verzichten - sie hatten ihren Zweck erfüllt. An ihre Stelle traten nun neue theoretische Konzepte."
(Die fette Hervorhebung am Ende des Zitats ist von mir eingefügt. - B.K.)
Anmerkung B. K.:
Ich mache auf die Formulierung "bizarr" aufmerksam: ein Wirbelmodel erscheint als "bizarr" - und deshalb ist B. Hoffmann wohl auch so erleichtert, dass Maxwell dann auf die Wirbel verzichtete.