Marguerite Duras - Zitate aus
"Der Schmerz"
Noch immer haben wir Deutschen große Probleme mit unsere "Vergangenheitsbewältigung". Ich kann nicht genau erkennen,
was bei deutschen Männern das größere Problem ist: die nationalsozialistische Vergangenheit oder die Schmach des verlorenen zweiten Weltkrieges.
Bei Marguerite Duras fand ich in ihrer Erzählung
"Der Schmerz" eine eher
weibliche Sicht auf diese Fragen, die sich meiner Meinung nach vor allem in den hier notierten Bemerkungen von S. 45 zeigt.
In dieser Erzählung geht es um das Ende des zweiten Weltkrieges, wie sie als Französin ihn erlebt hat:
Ihr Liebster ist noch in einem deutschen KZ, sie wartet auf ihn; als er endlich kommt, wiegt er noch 38 Kilogramm.
Der Hass der Franzosen auf die Deutschen war unbeschreiblich. Ihr Versuch, sich von diesem Hass frei zu machen, liest sich so:
„Ein kriegsgefangener Priester hat ein deutsches Waisenkind mit ins Auffanglager gebracht. Er hielt es an der Hand, . . . , er erklärte, . . dass es nicht die Schuld dieses armen Kindes sei. Die Frauen sahen ihn böse an. Er maßte sich das Recht an, schon zu verzeihen, schon zu vergeben. Er hatte keinen Schmerz, kein Warten gekannt. Er erlaubte sich, das Recht zu verzeihen, zu vergeben, jetzt, sofort, auf der Stelle auszuüben, ohne auch nur im geringsten den Hass zu kennen, in dem man lebte. ..
... auf der einen Seite die Front der Frauen, kompakt, unnachgiebig. Und auf der anderen Seite dieser Mann, allein, der in einer Sprache recht hatte, die die Frauen nicht mehr verstanden.“
Nachdem sie von der Befreiung des KZ Buchenwald erzählt hat, von den zwanzigtausend Überlebenden und den 51.000 Toten, die man fand, die einen Tag zuvor noch erschossen worden waren, einige seien noch warm gewesen, so wurde erzählt, schreibt sie
(S. 25)
„Was tut man in letzter Sekunde, wenn man den Krieg verliert?
Man schlägt das Geschirr kurz und klein. man zerschlägt die Spiegel mit Steinen, man tötet die Hunde.
Ich bin den Deutschen nicht mehr böse, man kann das nicht mehr so nennen. Ich konnte ihnen eine Zeitlang böse sein, das war klar, das war fasslich, verständlich und ging so weit, dass ich sie alle hätte umbringen können, die ganze Einwohnerzahl Deutschlands. Sie von der Erde auslöschen, dafür sorgen, dass das nicht mehr möglich wäre.“
(S. 29)
Sie - die Frauen - warten auf Nachrichten aus Deutschland, nur wenige erreichen sie und man weiß nicht, was stimmt. So schildert sie, wie die Situation in Deutschland ist:
„Millionen Menschen warten auf das Ende. Deutschland ist zu Brei geschlagen. Berlin brennt lichterloh, Tausende Städte sind dem Erdboden gleichgemacht. Millionen Zivilisten sind auf der Flucht ...“
Seiten später ist dann etwas ganz und gar Unglaubliches zu lesen, eine Erkenntnis, von der ich wünschte, dass wir sie heute verstehen und übernehmen könnten, ein Gedanke, den vielleicht eine Frau denken kann. Für Männer dürfte dieser kaum nachvollziehbar sein:
(S. 45)
„Wenn dieses Naziverbrechen nicht auf die Ebene der ganzen Welt ausgeweitet wird, wenn es nicht auf der Kollektivebene verstanden wird, . ... Wenn man aus den Nazigräueln ein deutsches Schicksal macht und nicht ein Kollektivschicksal, ...
Die einzige Antwort, die sich auf dieses Verbrechen geben lässt, ist die, daraus ein Verbrechen aller zu machen. Es zu teilen. Ebenso wie die Idee der Gleichheit, der Brüderlichkeit. Um es zu ertragen, um die Vorstellung davon auszuhalten, das Verbrechen teilen.“
Ich lese daraus auch diesen Gedanken:
Das, was damals passiert ist, kann jederzeit und an jedem Ort und von Menschen aus allen möglichen Ländern wieder getan werden. Es genügt nicht, den deutschen Faschismus zu verurteilen. Damit allein können solche grauenhaften Verbrechen nicht verhindert werden.
Die Menschengemeinschaft, die Menschheit als Ganzes ist gefordert, alles zu tun, diese und ähnliche Verbrechen zu verhindern.