banner gfp - Nachdenken über GRUNDFRAGEN DER PHYSIK UND DER WISSENSCHAFT
WISSENSCHAFTSKRITIK

FEMINSTISCHE WISSENSCHAFTSKRITIK


Die sogenannte "feministische Wissenschaftskritik" ist ein Widerspruch in sich. Werturteilsfreiheit bzw. Objektivitätsforderung der Wissenschaft einerseits und eine geschlechtsspezifische Sicht auf Wissenschaft andererseits scheinen nicht zusammen zu passen. Ich will der Frage nachgehen, was darunter zu verstehen ist, was sie bezweckt und ob sie überflüssig ist.

Dieser - inzwischen eher aus historischer Perspektive zu sehender - Begriff der "feministischen Wissenschaftskritik" umreißt zahlreiche Bemühungen von Frauen, in der Wissenschaft wahrgenommen zu werden. Ob die Formulierung "feministische Wissenschaftskritik" oder "Wissenschaftskritik aus Sicht von Frauen" besser geeignet ist, diese Form der Wissenschaftskritik zu bezeichnen, sei dahingestellt.

Dabei gibt es drei Ebenen, auf denen diese Wissenschaftskritik angelegt war bzw. ist und auf die ich im folgenden eingehen werde:
    - die historische Ebene der Wissenschaftskritik aus Frauensicht
    - die soziale Ebene - eine "feministische Wissenschaftskritik" entwickelt sich
    - und die Ebene, die die direkten wissenschaftlichen Aspekte -
       Fragestellungen, Methodik, Forschung, Interpretation - betrifft.

Die historische Ebene der Wissenschaftskritik aus Frauensicht

Es ist sattsam bekannt, wie schwer es Frauen auch noch in den Anfängen der modernen Wissenschaft hatten, die gleichen Ausbildungsmöglichkeiten wie Männer zu bekommen. Auf vielen Ebenen bemühten sich Frauen um gleiches Recht auf Bildung: im politischen Bereich und in der öffentlichen Wahrnehmung dieses Bildungsanspruches ebenso wie im juristischen und bis hinunter in den familiären Bereich mussten diese Pionierinnen viele Kämpfe führen, viele Beleidigungen und Demütigungen ertragen, ehe es keine juristischen Schranken mehr für Frauen gab, einen gleichen Ausbildungsweg wie Männer wählen zu können. Ein Hauptargument aus männlicher Sicht war, dass Frauen anders denken als Männer und deshalb für die Wissenschaft zu dumm seien. Diese Zugangsbeschränkungen und Vorurteile gegenüber Frauen sind wesentliche Element dieser historischen Ebene der Wissenschaftskritik aus Frauensicht. Das Thema ist bis heute aktuell, da es noch viele Frauen auf der Welt gibt, denen Bildung ganz oder teilweise verwehrt wird.

Ein weiteres, bis heute ebenfalls nur teilweise gelöstes Problem ist hierbei die Tatsache, dass wissenschaftliche Leistungen von Frauen oft verschwiegen oder Männern zugeordnet wurden und z. T. noch werden. Auch diesem Theme fühlt sich die feministische Wissenschafskritik verpflichtet.

Die soziale Ebene - eine "feministische Wissenschaftskritik" entwickelt sich

Nachdem die ersten Frauen sich in der Wissenschaft - neben z. B. der Medizin auch in den sogenannten "harten", bis dahin als reine Männerdomäne geltenden Naturwissenschaften - erste Plätze erobert und nachgewiesen hatten, dass sie ebenfalls in der Lage sind, sich in diese Wissenschaften einzubringen (von Marie Curie bis Lise Meitner seien nur zwei der bekanntesten Frauen genannt), war die soziale Komponente immer noch problematisch für Frauen. In den auch in den Wissenschaftsinstitutionen existierenden Männerbündnissen hatten Frauen kein Mitspracherecht.
So blieb ihnen nichts anderes übrig, als eigene Organisationsformen zu suchen und aufzubauen.

Ich will hier einige Beispiele aus Deutschland erwähnen:
- die Kongress- bzw. Tagungsbewegung "Frauen in Naturwissenschaft und Technik", die besonders in den 80er und 90er Jahren sehr aktiv war, dann aber nur noch in kleinerem Rahmen weiter geführt werden konnte. Bis zum Jahr 2016 sind jährlich Tagungen durchgeführt worden, noch um das Jahr 2003 herum in ziemlich großem Rahmen. Später wurden es immer weniger Teilnehmerinnen. Offenbar ist inzwischen nur noch eine kleine Gruppe übrig geblieben. Ob auch im Jahr 2017 eine Tagung stattfinden wird, war im Oktober 2016 noch nicht auf der Website angegeben.
Der Trägerverein nennt sich Fifty-Fifty Frauen und Mädchen in Naturwissenschaft und Technik e.V. Ausführliche Informationen - auch zu früheren Kongressen und Tagungen - gibt es unter www.finut.net »externer Link«.

- der "dib - deutscher ingenieurinnenbund e.V.":
Dieser Verein arbeitet bundesweit in 19 Regionalgruppen mit rund 400 Mitgliedern (Ende 2013) und sieht sich als Fach- und Berufverband sowie als Netzwerk deutscher Ingenieurinnen. Die Website www.dibev.de/ »externer Link«  lässt erkennen, dass der Verein nach wie vor sehr aktiv ist.

- der Verein "Frauen in Naturwissenschaft und Technik NuT e. V.", aus der oben genannten Kongressbewegung entstanden, hat z. B. zwischen 1991 und 2009 zwölf Bände eine Schriftenreihe herausgegeben, die sich mit frauenspezifischen Fragen in Naturwissenschaft und Technik befasst. Der jüngste Band von Helene Götschel und Doris Niemeyer als Herausgeberinnen trägt den Titel Naturwissenschaften und Gender in der Hochschule - Aktuelle Forschung und erfolgreiche Umsetzung in der Lehre
Weitere Informationen über diese Schriftenreihe finden sich auf der Website des Vereins unter www.nut.de/index.php?page=Schriftenreihe »externer Link«
Allerdings gibt es auf der Website seit Jahren keine aktuellen Informationen mehr.

In diesen drei Vereinen bzw. auf den Tagungen spielten immer auch wissenschaftskritische Themen eine Rolle.

- die Physikerinnentagungen
Anders sieht es bei den Physikerinnentagungen aus, die ich hier am Rande nennen will, obwohl sie eher nichts mit "feministischer Wissenschaftskritik" zu tun haben.
Weitestgehend von der Öffentlichkeit unbemerkt findet in Deutschland jährlich eine mehrtägige "Physikerinnentagung" statt. Der Name dieser Veranstaltungsreihe ist vielleicht etwas irreführend, da es inzwischen eher "Studentinnentagungen" für Physikstudentinnen sind.
Die Physikerinnentagungen sind eine Veranstaltungsreihe der "Deutschen Physikalischen Gesellschaft" (DPG). Diese hat einen "Arbeitskreis Chancengleichheit" (AKC), der unmittelbar dafür zuständig ist.
(siehe auch die Website der DPG www.dpg-physik.de »externer Link« und
die Website des "AKC" www.dpg-physik.de/dpg/gliederung/ak/akc »externer Link«)


Weitere Informationen zu den einzelnen Tagungen gibt es auf der Website www.physikerinnentagung.de »externer Link«.

Der AKC hatte vor Jahren einmal eine Ausstellung organisiert:
„Von der Antike bis zur Neuzeit – der verleugnete Anteil der Frauen an der Physik“.
Diese kann nach wie vor ausgeliehen werden.
Unter www.intern.tu-darmstadt.de/frauenbeauftragte/ausstellungen/ wanderausstellung/wanderausstellung.en.jsp gibt es mehr Informationen.

Eine weitere Ausstellung
"Lise Meitners Töchter Physikerinnen stellen sich vor"
informiert über Physikprofessorinnen heute. Den 130-seitige Katalog findet man unter www.dpg-physik.de/veranstaltungen/lise_meitner/lml-katalog/lml-katalog.pdf »externer Link« Die entsprechenden Poster können auch einzeln heruntergeladen werden.

Zu einigen wissenschaftlichen (inhaltlichen und methodischen) Aspekten der Kritik von Frauen an der Wissenschaft

Zuerst sei darauf verwiesen, dass Wissenschaftskritik, die von einer Frau ausgeht, nicht notwendig bzw. automatisch "feministische Wissenschaftskritik" ist. Wenn man eine geschlechtsspezifische Sicht auf Wissenschaft für unwissenschaftlich hält, haben Wissenschaftlerinnen - genau wie ihre männlichen Kollegen - natürlich trotzdem das Recht, kritische Positionen zur Wissenschaft zu beziehen. Das muss vorangestellt werden, damit nicht ggf. Frauen mit dem Hinweis, sie würden "feministische Wissenschaftskritik" betreiben und also nicht wertfrei-objektiv an Wissenschaft herangehen, das Mitspracherecht genommen wird.

Es gibt ein sehr anschauliches Argument, das dieses Mitspracherecht von Frauen entkräften will und außerordentlich wirksam ist:
        "Fällt der Stein bei Frauen anders?"
Anders ausgedrückt, meint dieses Argument, dass inhaltliche Erkenntnisse über die Realität unabhängig vom Geschlecht des Erkennenden sind, dass Männer und Frauen in ihren wissenschaftlichen Fragestellungen zu den gleichen Erkenntnissen kommen müssen.
Doch so weit, Ergebnisse in Frage zu stellen, ist die feministische Wissenschaftskritik gar nicht gegangen. Es ging eher um die oben erwähnten Fragestellungen und Interpretationen, nicht um die Erkenntnisse selbst aus den wissenschaftlichen Forschungen.
So gibt es zahlreiche Arbeiten, die aufzeigen, dass Männer in der Forschung oft von anderen Fragestellungen ausgehen als Frauen, einen anderen Blickwinkel auf ein Thema haben. Trotzdem sind natürlich die Ergebnisse in beiden Fällen - sofern sich die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen streng an wissenschaftliche Arbeitsmethoden halten - immer auch wissenschaftliche Erkenntnisse im Sinne der Reproduzierbarkeit der Messungen, der Richtigkeit der Fakten usw.

Der wissenschaftlich-inhaltliche Aspekt dieser feministischen Wissenschaftskritik kann als ein Aspekt bzw. Teilbereich der sogenannten "Standpunkttheorie" angesehen werden. Diese geht davon aus, dass wissenschaftliche Fragestellungen ebenso wie Interpretationen wissenschaftlicher Experimente und Erkenntnisse sowohl von historischen als auch sozialen und weltanschaulichen Positionen des jeweiligen Wissenschaftlers abhängen.
Zusätzlich - so die feministische Wissenschaftstheorie - hat dieser Einfluss des Standpunktes auch einen geschlechtsspezifischen Aspekt.

Wie auch immer man dazu stehen mag, diese Überlegungen zum Einfluss des Standpunktes auf die Arbeit des Wissenschaftlers können sicher eine Art Anstoß geben, eigene Auffassungen immer wieder dahingehend zu überprüfen, ob man dabei dem eigenen Standpunkt sozusagen objektive Bedeutung beimisst, oder ob man auch die Standpunkte bzw. Auffassungen anderer Wissenschaftler ausreichend berücksichtigt hat, um ggf. eigene Denkfehler zu erkennen. Auch ist es geraten, die kritischen Argumente anderer zu den eigenen Arbeiten auf ihren Erkenntniswert zu überprüfen: können sie helfen, die "Wertneutralität" bzw. Objektivität der eigenen Arbeit zu sichern.

In diesem Sinne wäre es zu begrüßen, wenn die Argumente von Frauen, die unter dem Aspekt der "feministischen Wissenschaftskritik" in die allgemeine Reflexion über Wissenschaftsentwicklung eingebracht werden, auch aus Sicht der Männer als wichtig anerkannt würden.