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LESESTOFF AUS UND ÜBER WITTENBERG

UTE UND DETLEF STUMMEYER
PAUL BOSSE - SEINE KLINIK IN WITTENBERG

UNERWÜNSCHTE WAHRHEITSSUCHE

Für die Wittenberger gehörte die Bosse-Klinik über Jahrzehnte zum Alltag. Mehr als 50.000 Kinder erblickten zwischen 1935 und 1995 dort das Licht der Welt. Die tragische Geschichte der Familie Bosse, von Paul und Käte Bosse, blieb den meisten von ihnen verborgen.

Nun ist ein Buch erschienen, das diese Lücke im kollektiven Gedächtnis der Stadt schließen
kann.
Die Vorgeschichte zu diesem Buch findet sich auf der Seite KÄTE BOSSE (im Thema FRAUEN IN WITTENBERG).
Ich werde im folgenden nur einige erste Gedanken aus dem Buch aufgreifen, dich mich persönlich besonders berührt haben.

Auf der Seite von amazon.com gibt es zwei  Kommentare zu dem zur Zeit (Januar 2015) "nicht verfügbaren" Buch (1. Auflage), die ich interessierten Lesern gern weiter empfehle:
www.amazon.de/Paul-Bosse-Wittenberg-unerwünschte Wahrheitssuche »externer Link«
(Link öffnet in einem neuen Fenster, die Seite ist nach wie vor im Netz - Stand 20.08.2018)
Im folgenden stelle ich das Buch kurz vor, gehe auf die Geschichte des "heilkundigen Wittenberg" ein, frage nach den Fakten und Interpretationen zu den damaligen Ereignissen, um am Schluss die Schönstätter Marienschwestern näher vorzustellen, die im Jahr 1936 die Pflege  und Betreuung in der Bosse-Klinik übernommen hatten.

Ergänzung am 01.11.2015
Inzwischen ist das Buch in veränderter Neuauflage erschienen. Ich lasse die Informationen zur ersten Auflage des Buch stehen, wie ich sie am 01.01.2015 ins Netz gestellt hatte, und ergänze in den Anmerkungen zur Neuauflage einige Details zum Buch und zu Seltsamkeiten beim Vertrieb der ersten Auflage des Buches.

Diese veränderte und gebunden oder als E-Book verfügbare Neuauflage (s. u.) ist unter Amazon - leider ohne die oben erwähnten Kommentare - zu finden:
www.amazon/Paul-Bosse-Wittenberg~ »externer Link«

Die Übersicht:
- Die veränderte Neuauflage erscheint im Sommer 2015
- Die erste Auflage von 2014 wird vorgestellt
- Das heilkundige Wittenberg - geschichtliche Hintergründe
- Fakten und Interpretationen zur Geschichte der Familie Bosse und der Bosse-Klinik 
- Die Schönstätter Marienschwestern und Pater Joseph Kentenich


Die (zweite) veränderte Neuauflage erscheint im Sommer 2015

Zwischen meinen Notizen zur ersten Auflage und  diesen hier zum Erscheinen der Neuauflage liegt die Eröffnung einer Sonderausstellung am 08.05.2015 im Wittenberger "Zeughaus":
"Juden der Lutherstadt Wittenberg im Dritten Reich", gestaltet von Ronny Kabus. Das zur Ausstellung neu und überarbeitet herausgegebene Buch gleichen Namens werde ich später im "Lesestoff" noch genauer vorstellen.

Diese Ausstellung, das Buch und insbesondere ein Foto daraus, hat mich zutiefst erschüttert. Das Foto (im Buch auf S. 30 oben) zeigt auf den ersten Blick SA-Männer links vor dem Cranach-Altar in der Wittenberger Stadtkirche mit Hakenkreuzfahnen. Direkt vor dem Altar sieht  man einen Theologen, der gerade etwas vorliest. Irgendwie erschien das Foto "normal" für jene Zeit.
Erst die Bildunterschrift löste in mir ein Entsetzen aus, an dem ich noch tagelang zu tragen hatte:"Reichsbischof Ludwig Müller vor dem Cranach-Altar der Wittenberger Stadtkirche am 27.9.1933. Der »erste SA-Theologen-Sturm Deutschlands« stellt seine »Ehrenwache«."[als Quelle des Fotos genannt: Lutherhaus Wittenberg]

Damals, am 8. Mai bin ich davon ausgegangen, dass dieser "SA-Theologen-Sturm" sich hier in Wittenberg konstituiert hatte. Natürlich kann ich das heute nicht mehr mit Sicherheit behaupten. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass das Wittenberger Theologen sind. Nirgends sonst - nur in dem Buch - habe ich über einen solchen "SA-Theologen-Sturm" etwas gefunden. Die Vorstellung, dass ein Theologe gleichzeitig SA-Mann sein konnte, ist für mich nach wie vor unerträglich.
Um so wichtiger erscheint mir das Buch der Stummeyers, das diesen Teil der Wittenberger Geschichte detailreich aufarbeitet.

Kurze Zeit nach dem Erscheinen der 1. Ausgabe musste der Verlag Insolvenz anmelden. Die Auflage war noch nicht verkauft, trotzdem war das Buch nicht mehr käuflich zu erwerben. Ist das bei einer Insolvenz so, dass die bereits gedruckten Bücher nicht mehr ausgeliefert werden?
Stummeyers waren trotzdem an den Vetrag gebunden, konnten es nicht anderweitig veröffentlichen. So überarbeiteten sie das Buch und gaben es im "BOOKS on DEMAND - BoD" (www.bod.de) völlig neu heraus:

Detlev und Ute Stummeyer:
Paul Bosse.
Seine Klinik in Wittenberg.
Unerwünschte Wahrheitssuche.
Veränderte Neuauflage. Books on Demand,
Norderstedt 2015, ISBN 978-3-738-68883-2.

Hier die Titel- und  die Rückseite:
Titel des Buches  Paul Bosse ...       Rückseite des Buches Paul Bosse ...
Beide Abbildungen sind von Herrn Stummeyer gescannt, von mir zugeschnitten. - B.K. Die Rückseite enthält einen gegenüber der 1. Auflage leicht veränderten Text. Klick auf die rechte Abbildung führt zur lesbaren Version.

Besonders erwähnenswert sind aus meiner Sicht die Ausführungen zu den Details der Klinikgründung. Die hier in Wittenberg weit verbreitete Legende, diese Klinikgründung sei erst durch den Besuch Hitlers nach dem Sprengstoffunglück im Jahr 1935 und nur im Rahmen eines persönlichen "Schutzbriefes" ermöglicht worden, wird als falsch sichtbar gemacht: Lange zuvor war bereits klar, das das Paul-Gerhardt-Stift Paul Bosse entlassen wollte. Es gab lediglich einen Kompromiss, dass er noch einen Jahresvertrag bis Ende 1935 erhielt, so dass er in dieser Zeit seine eigene Klinik aufbauen konnte.
Das wäre auch ohne das Sprengstoffunglück geschehen.
Ich empfehle auch einen Blick auf die Wikipedia-Seite über Paul Bosse »externer Link«, vor allem die Diskussionsseite.

Eine weitere Erwähnung soll die Tatsache finden, dass das Paul-Gerhardt-Stift Paul Bosse nach dessen Rückkehr nach Wittenberg seine Privatklinik nicht etwa  freiwillig zurückgegeben hatte.

Ute und Detlef Stummeyer haben mir eine Zusammenfassung  ihres Buches (1.  Auflage) als pdf geschickt, die ich hier  gern veröffentliche: pdf zu Bosse-Buch.

Die erste Auflage von 2014 wird vorgestellt


Buchtitel 1. Auflage   Buch 1. Auflage, Rückseite

(Klick auf die Abbildungen führt zur größeren, lesbaren Abbildungen
Beide Abbildungen sind von mir gescannt. - B.K.)


Detlev Stummeyer
Ute Stummeyer
Paul Bosse
Seine Klinik in Wittenberg
Unerwünschte Wahrheitssuche
1. Auflage
Projekte-Verlag Cornelius GmbH, Eisleben und Halle 2014
www.projekte-verlag.de
ISBN 978-3-95486-497-3
320 Seiten
22,50 Euro

Da der Projekte-Verlag Cornelius GmbH in Insolvenz gegangen ist, ist das Buch zur Zeit (Herbst 2014) nicht auf dem Markt.
Fam. Stummeyer bemüht sich um eine 2. Auflage.

Das Buch ist eine Faktensammlung und eine Beschreibung der Bemühungen der Familie Stummeyer, über das Leben der Familie Bosse und über einige bisher unbekannte oder anders (falsch) darstellte Fakten zu informieren. Es ist nicht nur eine Familienchronik, sondern vor allem ein Zeitzeugnis im weitesten Sinne, das auch die Haltung vieler Wittenberger während der Herrschaft des Nationalsozialismus erkennen lässt.
Die spätere Geschichtsschreibung über die damaligen Ereignisse - die Ausgrenzung der Familie Bosse, die Entlassung von Paul Bosse als "jüdisch versippten" aus dem Paul-Gerhard-Stift  usw. - wird ebenfalls unter die Lupe genommen.
In den Vorbemerkungen schreibt Detlev Stummeyer (S. 15):  Dieses Buch handelt von der Verfolgungsgeschichte des angesehenen Wittenberger Chefarztes Paul Bosse im III. Reich, die der Vergessenheit anheimgefallen ist. Eine gescheiterte Auseinandersetzung mit Vertretern der Evangelischen Kirche Wittenbergs, mit dem ihr eng verbundenen ehemaligen Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt Böhmer und mit dem Wittenberger Oberbürgermeister war Anlass, unseren Forschungsbericht niederzuschreiben - erstaunt, ja ungläubig über deren Umgang mit Geschichte. Gleichzeitig dokumentiert es eine anhaltende, ausgesprochen erfolgreiche Vertuschungsgeschichte, an der Stadt, Kirche und Böhmer gemeinsam beteiligt sind
Natürlich wird in dem Buch die Familie Bosse ausführlich vorgestellt. Natürlich gibt es auch einige Familienfotos von Paul, Käte und ihren vier Kindern.
Auf 220 der 320 Seiten des Buches ist der eigentliche Text zu finden. Dem schließen sich auf den nächsten 50 Seiten mehr als 500 Anmerkungen an.  Nach den Familienfotos folgen Textauszüge aus Originaldokumenten und  Fotokopien von Dokumenten und Briefen.
Wer ein "wissenschaftlich" aufgebautes, "objektives" Buch  (im Sinne von unpersönlich, nicht persönlich beteiligt sein, "unparteiische" bzw. "wertungsfreie" Darstellung der Fakten) über die Geschichte dieser Zeit erwartet, wird enttäuscht werden. Es gibt sogar Leute, die werfen den Autoren deren persönliche Betroffenheit über die Fakten vor!

Das Buch hat mich vor allem deshalb angesprochen und erschüttert, weil es zeigt, dass das Schicksal der Familie bis heute mit Leid, Trauer und Schmerz in den Nachfahren weiterlebt. Die Forderung nach einem offenen und ehrlichen Umgang mit diesem Teil der Wittenberger Geschichte kann ich sehr gut verstehen und möchte sie, indem ich hier über das Buch und das Familienschicksal berichte, unterstützen.
In diesem Sinne ist das Buch Teil der Geschichtsschreibung über die Stadt Wittenberg geworden, ob manche Leute das nun wahrhaben wollen oder nicht!

Es ist mir nicht möglich, alle wichtigen Details, die ich aus dem Buch erfahren habe, hier vorzustellen. Ich konzentriere mich auf einige wenige, die mich besonders erstaunten.

Das heilkundige Wittenberg - geschichtliche Hintergründe

Die Stadt Wittenberg hat seit der Gründung der Universität in ihren Mauern neben theologisch-philosophisch-politischer Ausstrahlung auch immer einen besonderen Ruf als Stadt der Heilkunde, der Medizin gehabt. Nicht zuletzt verdankte sie diesen Ruf dem Wirken des hochberühmten Medizinprofessors Daniel Sennert (1572 - 1637), der nicht nur für die erste wissenschaftliche Dokumentation eines Kaiserschnitts an einer lebenden Frau in die Geschichte einging. Er floh nicht aus der Stadt, als die Pest in Wittenberg wütete, sondern starb selbst an der Pest bei der Betreuung der Kranken.

Neben der Bosse-Klinik und dem evangelischen Paul-Gerhardt-Stift gab es z. B. nach dem 2. Weltkrieg eine Tuberkulose- bzw. Lungen-Heilstätte in Apollensdorf-Nord (damals noch einem kleinen Dörfchen nordwestlich von Wittenberg, inzwischen eingemeindet), die sich DDR-weit einen guten Namen gemacht hatte. Der Direktor der Lungenklinik Dr. Luitfried Bergmann war nicht nur in Wittenberg hoch angesehen.
Das sind nur zwei Beispiele aus der Geschichte der Medizin und des Gesundheits- und Sozialwesens in Wittenberg.

Ausführlichere Informationen darüber liefern die Arbeiten von Prof. Wolfgang Böhmer "Zur Geschichte des Wittenberger Gesundheits- und Sozialwesens" in vier Broschüren. Teil IV (über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts) spielt in dem Buch der Stummeyers eine besondere Rolle.

Fakten und Interpretationen
zur Geschichte der Familie  Bosse und der Bosse-Klinik

Aus den Recherchen von Ute und Detlev Stummeyer aus Originaldokumenten zu den Ereignissen rund um Paul Bosse und seine Klinik kommen einige Fakten zur Sprache, die sich nicht mit den Darstellungen in der oben genannten Broschüre decken.

Weitere Informationen über die Ereignisse um das Jahr 1935 zeigen eine mir bisher unbekannte Vernetzung zwischen Wittenberger Politikern, die dem Nationalsozialismus  treu ergeben waren, und der Evangelischen Kirche in Wittenberg. Das Paul-Gerhardt-Stift selbst scheint nach dem Ausscheiden Paul Bosses zum Ende des Jahre 1935 fest in den Händen der Nationalsozialisten gewesen zu sein. In dem Buch werden Namen von zahlreichen damals Verantwortlichen genannt, deren Äußerungen und Verhalten wiedergegeben.

Hat das Paul-Gerhardt-Stift bisher zu diesem Teil seiner Geschichte Stellung bezogen?
Auf der Website des Evangelischen Krankenhauses Paul Gerhardt Stift findet sich eine Seite über dessen Geschichte »externer Link« (Link zuletzt geprüft am 20.08.2018), auf der Dr. Bosse im Zusammenhang mit der Versorgung der Verletzten des Sprengstoffunglücks vom 13. Juni 1935 erwähnt wird.  Man erfährt auch, dass im Jahr 1942 das Paul-Gerhard-Stift "in der Folge der nationalsozialistischen Politik zwangsweise der Leitung des Oberbürgermeisters der Stadt Wittenberg übertragen" wurde.
Also - kann man schlussfolgern - war es zum Zeitpunkt der Entlassung von Paul Bosse noch selbständig handlungsfähig. Also hatte es die Verantwortung für diese Entscheidung selbst zu tragen. 

Paul Bosse war von 1919 bis 1935 Chirurg, Frauenarzt und leitender Chefarzt des Paul-Gerhardt-Stiftes.  Ab dem Jahr 1936 bis 1945 nennt das Bosse-Buch einen gewissen  Fritz Korth (1898 - 1961) als Chirurgischen Chefarzt. Der war seit dem 01.05.1933 Mitglied der NSDAP und ab Juli 1938 Mitglied der SS.  In dem Buch wird  mehrfach aus der nach Ende des 2. Weltkrieges von Paul Bosse geschriebenen "Chronologischen Darstellung der Verfolgung der Familie Bosse ..." zitiert, in der auch F. Korth mehrfach erwähnt wird.

Käte und Paul Bosse lebten im Status der sogenannten "privilegierten Mischehe". Diese Bezeichnung ist infam, eine Diskriminierung wird zum "Privileg" umgedeutet. "Nicht-Arier", die mit "Ariern" verheiratet waren, "genossen einen gewissen Schutz", wie es offiziell im damaligen Deutschland hieß - auch das ist sprachliche Infamie. "Normale" deutsche Ehepaar brauchten keinen "Schutz".
Ein Zwangsscheidungsgesetz war in Vorbereitung. Offenbar spielte es für die Nazis und die Wittenberger evangelische Kirche keine Rolle, dass Käte Bosse schon als Kind sich zum Christentum  bekannt hatte und in ihrem weiteren Leben als überzeugte Christin lebte.

Paul und Käte kannten sich seit ihrer Kindheit. Es war wohl eine ganz große Liebe. Käte soll mehrfach Suizidgedanken gehabt haben, weil sie den Druck von der Familie nehmen wollte, unter dem alle - vor allem auch die vier Kinder - zu leiden hatten.
Das, was die Familie damals durchmachen musste, ist aus heutiger Sicht nicht einmal mehr annähernd vorstellbar.

Am 21. Juli 1944 wurden Paul und Käte Bosse sowie ihre zwei Söhne unter dem Vorwand, am Attentatsversuch gegen Hitler vom 20. Juli 1944 beteiligt gewesen zu sein, verhaftet. Steckte Korth hinter der Anzeige? Dessen Aussage enthält einen Widerspruch zu den Ereignissen.

Auf S. 157f des Buches ist nachzulesen, dass der  damalige Oberbürgermeister  Wittenbergs und  zuerst stellvertretender, ab 1942  "per Gesetz" geschäftsführender Vorstandsvorsitzender des Paul-Gerhardt-Stiftes, Fritz Hofmeister "eigenhändig die amtliche Anweisung schreibt, die zur Beschlagnahme der Privatklinik zugunsten des Paul-Gerhardt-Stiftes am 25.7.1944 führt." In der Darstellung von Herrn Böhmer war die Nutzung der Bosse-Klinik dem Paul-Gerhardt-Stift "aufgezwungen" worden.
Auf S. 161 wird dann erwähnt, dass das Paul-Gerhardt-Stift Paul Bosse nach dessen Rückkehr (aus dem Gefängnis) angeboten hat, "Chefarzt der Abteilung Paul-Gerhardt-Stift Heubnerstraße 26" zu werden. So wurde zu diesem Zeitpunkt seine Klinik offensichtlich offiziell bezeichnet. Hatte man nicht mehr mit der Rückkehr Paul Bosses gerechnet und die Klinik schon als Teil des Krankenhauses "Paul Gerhardt Stift" gesehen?

Was die Anschuldigungen bezüglich der Teilnahme an dem Attentatsversuch betrifft, gibt es offenbar keine weiteren Informationen, keine Unterlagen, Gerichtsprozesse usw. Doch das war in diesem Fall der normale Gang der Dinge: natürlich wollte man alles ganz genau wissen über Hintermänner, Helfer usw.
Wenn den Bosses diese Teilnahme unterstellt wurde, warum sind sie nicht entsprechend in einem politischen Gerichtsverfahren befragt, verurteilt und bestraft worden?

Dieses Beispiel mag genügen, die geschichtlichen Wirrnisse und die Schwierigkeiten einer sachliche Darstellung anzudeuten. 
Die zahlreichen im Buch genannten Fakten werden hoffentlich beitragen, dass hier in Wittenberg eine weitere Aufarbeitung der damaligen Ereignisse möglich wird - damit aus der "unerwünschten Wahrheitssuche", wie es im Untertitel des Buches heißt, eine "ehrliche Wahrheitssuche" der verschiedenen beteiligten Einrichtungen und Institutionen werden kann.

Eine Frage bleibt offen: Wieso hat die Evangelische Kirche in Wittenberg ihre Mitglieder, Käte und Paul Bosse, nicht beschützt?

Das Buch hält zahlreiche weitere, sehr lesenswerte Informationen bereit. Auf eine, für mich sehr kostbare Informationen will ich im folgenden eingehen:

Die Schönstätter Marienschwestern und
Pater Joseph Kentenich

Aus dem Buch (S. 138ff) erfahre ich von den Schwestern, die in der Bosse-Klinik arbeiteten.
Wir hatten damals (das meint die Zeit in der DDR) aufgrund ihrer Kleidung immer angenommen, es seien Nonnen. Wieso ein evangelischer Arzt katholische Schwestern in seine Klinik holte, darüber hatte ich mir "natürlich" nie Gedanken gemacht. Es ist erstaunlich, wie wenig Fragen zu den alltäglichen Dingen aufkommen, wenn man es nicht anders kennt.

Die Details, wie es zur Arbeitsaufnahme durch die Schönstätter Marienschwestern kam, sind vielleicht gar nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass ihr Orden auf Pater Joseph (bzw. Josef) Kentenich (1885 - 1968) zurückgeht. Der hatte sich während der Zeit des Nationalsozialismus dem Berührungsverbot  gegenüber Juden und "jüdisch Versippten" widersetzt. Besonders beeindruckt hat mich das Menschenbild von Pater Kentenich (S. 140):Pater Kentenichs Traum ist der von einem "neuen Menschen", der Mensch der christlichen Freiheit, die christliche Persönlichkeit, der solidarische Mitmensch. Diese "neuen Menschen" sollen "neue Gemeinschaften" bilden, die Keimzellen für eine "neue" Welt darstellen. Seine Freiheitspädagogik hat immer die Selbständigkeit des Menschen im  Auge, die gebunden ist in einem tiefen christlichen Glauben, wobei der vermittelnden Gottesmutter  Maria ein exponierter Platz zukommt.
Pater Kentenich geriet ins Visier der Gestapo, war ab September 1941 in Gestapohaft, ab März 1942 im KZ Dachau.
Auch mit seiner eigenen Kirche bekam er Probleme, so dass er 1951 für 14 Jahre in die USA verbannt wurde. Danach wurde er unter Johannes XXIII. rehabilitiert.

Pater Kentenich hatte im Jahr 1926 die Schwesterngemeinschaft der "Schönstätter Marienschwestern" gegründet. Sie waren das erste "Säkularinstitut" der katholischen Kirche in Deutschland A1.

Mit diesem neuen geschichtlichen Hintergrundwissen kann ich nur meinen höchsten Respekt, meine Anerkennung und Bewunderung vor den Schönstätter Marienschwestern und Pater Kentenich ausdrücken.


Wenn ich an dieser Stelle diese Informationen über das Buch abbreche, dann nicht, weil nicht noch wichtige weitere Details daraus zu betrachten wären. Es würde jedoch den Umfang dieser Seite sprengen.
Siehe auch die Seite KÄTE BOSSE (in FRAUEN IN WITTENBERG) und die Rede von Ute und Detlef Stummeyer auf der Gedenkfeier zum 70. Todestag von Käte Bosse: Gedenkfeier.pdf
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Anmerkung A1
Weitere Informationen finden sich z. B. in der Wikipedia (Stand 31.12.2014) unter
Schönstätter Marienschwestern »externer Link«
Josef Kentenich »externer Link«
Schönstattbewegung »externer Link«
und
Kentenich-Pädagogik »externer Link«.

Seit August 2016 ist eine Website von Ute und Detlef Stummeyer (im Aufbau) im Netz:
www.paul-und-kaete-bosse.de »externer Link«