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ZWANZIGSIEBZEHN - DER 500. JAHRESTAG DES BEGINNS DER REFORMATION

NACHLESE ZUM WITTENBERGER
JAHRHUNDERT-EREIGNIS


Während an anderen Orten schon der "Kampf gegen die Touristenmassen"A1 geführt wird, kämpft man in Wittenberg noch darum, solche Massen an sich zu ziehen.
Reicht die "Gravitationskraft" der Wittenberger Angebote dafür aus?
Die bisherigen dieses "Reformationssommers" lassen schlimmes befürchten.

Auf dieser Seite will ich Eindrücke von und Gedanken zu den hiesigen Ereignissen anlässlich des 500. Jahrestages des Beginns der Reformation festhalten.  Und einen Blick auf das "Danach" wird es natürlich auch geben: Wie geht es in Wittenberg ab 2018 weiter?

Die wichtigsten Ereignisse des Reformationsjubiläums liegen bereits hinter uns:
- der Abschlussgottesdienst zum Kirchentag   (28.05.2017)
- die Eröffnung der "Weltausstellung Reformation" (20.05.2017)

Werden / wurden die Erwartungen erfüllt?
- Das Memorandum "Reformation in der Krise - Wider die Selbsttäuschung"
(Friedhelm Schorlemmer und Christian Wolff, veröffentlicht am 05.09.2017)

Kritiker lassen kein gutes Haar an den Lutherfeierlichkeiten
- Die (atheistische) Giordano-Bruno-Stiftung treibt es am heftigsten mit ihrer Kritik


Abschlussgottesdienst zum Kirchentag am 28.05.2017

Ein gigantischer Abschlussgottesdienst des diesjährigen evangelischen Kirchentages sollte am 28. Mai in Wittenberg stattfinden.
Wie dieses Ereignis aus Wittenberger Sicht einzuschätzen ist, war in einem der hiesigen wöchentlichen Anzeigenblättchen, dem "Wittenberger Sonntag Magazin" am 01.06.2017 zu lesen:
"Abschlussgottesdienst war eine Werbung für Wittenberg"
Das war er wohl nicht wirklich:
Anfangs war mit 300.000 Besuchern gerechnet worden.
Das meint, man hat alles an Vorbereitungsaufwand auf diese Zahl eingestellt:
- von der Versorgung der 300.000 (Jesus hilf!),
- der An- und Abreise (Bundesbahn lässt im 10-Minuten-Takt 100 Züge von Berlin nach Wittenberg fahren),
- der Vorbereitung der Elbwiesen (Vor- und Nachbereitung kostet schlappe 8 Millionen Euro)
- bis zu Bereitstellung von Sicherungskräften und medizinischer Betreuung auf den Elbwiesen - für ebendiese 300.000.

Dann wurden die Planzahlen immer kleiner, bis man sich im Mai 2017 endlich auf 100.000 geeinigt hatte. Die mussten es dann auch werden:
Die Hochrechnung ergab 120.000. Dabei verwende ich das Wort "Hochrechnung" in doppelter Bedeutung: die Besucher wurden nicht gezählt, nur geschätzt, und dabei wurde ihre Zahl ganz offenkundig "hoch gerechnet".

Ich habe mir den Gottesdienst im Regionalsender MDR angesehen. Dass ein anglikanischer Bischof aus Südafrika sprach (die Predigt hielt), ist sicher bemerkenswert.
Bei aller Kirchenspalterei wird oft vergessen, dass die Katholische Kirche im 16. Jahrhundert nicht nur die evangelisch-protestantisch-lutherischen Mitglieder verlor, sondern auch in England herbe Mitgliederverluste hinnehmen musste, als Heinrich VIII. (1491 - 1547) lieber eine Kirchenspaltung in Kauf nahm, als sich vom Papst eine Scheidung (bzw. Annullierung der Ehe) von seiner ersten Frau Katharinia von Aragón verbieten zu lassen. So wurde er zum Begründer der "anglikanischen Kirche".

Was hatte ich nur erwartet, nachdem meine Hoffnung, der Papst würde auf diesem Gottesdienst predigen, sich nicht erfüllt hatte?
Trotz alledem hatte ich starke Worte erwartet, die einen öffentlichen Effekt erzielen würden, von denen man noch lange sprechen würde - einen Aufruf an die Christen, sich für Frieden, Toleranz, Völkerverständigung, für die Überwindung des nach wie vor in der Welt herrschenden Elends einzusetzen.
Nichts davon fiel mir auf. Ich musste aufpassen, dass ich nicht einschlief während der Übertragung.

Drei Tage nach diesem Höhepunkt auf den Elbwiesen waren die Spuren schon weitestgehend beseitigt.
(Gelegentlich schrieb jemand vom Gottesdienst auf "der Elbwiese" (Singular). Für uns Wittenberger sind es aber "die Elbwiesen" (Plural).)


Eröffnung der "Weltausstellung Reformation" am 20.05.2017

Der ARD war dieses Ereignis nicht einmal mehr einen Bericht in der Tagesschau ab 20 Uhr wert: die Eröffnung der "Weltausstellung Reformation".
In der Sendung ab 17 Uhr hatte es noch einen Kurzbericht gegeben.
Frau Käßmann hatte gesprochen, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeiner hatte gesprochen. Von 4000 Gästen der Eröffnungsveranstaltung ist die Rede.
Bedrohlich wirkende Scharfschützen waren auch vor Ort und verunsicherten die Besucher, obwohl sie sie doch eigentlich beschützen sollten.

Der Countdown in der "Weltkugel" war abgelaufen.  Diese hatte seit rund einem Jahr die Zeit in Sekunden rückwärts gezählt bis zu diesem Augenblick.
Nun beginnt die Zeitrechnung von Wittenberg neu, wir zählen wieder vorwärts.
Doch es ist nicht die Zeit, die nun wichtig ist, denn es zählt am Ende nur, "was hinterher rausgekommen ist":
wie viele Touristen sind gekommen, wie viel Geld wurde "in die Kassen gespült".


Weltausstellungen, die in Deutschland stattgefunden haben, kann man an den Fingern einer Hand abzählen.
Drei Kategorien von "Weltausstellungen" gibt es in der Wikipedia - Liste der Weltausstellungen »externer Link«
- die offiziellen Weltausstellungen, die von der zuständigen Einrichtung (dem "Bureau International des Expositions" - BIE) als solche registriert sind,
- vom BIE anerkannte internationale Ausstellungen
- nicht-BIE-anerkannte Weltausstellungen

In Berlin gab es in der 2. Hälfte des 19. Jh. zwei nicht anerkannte "Berliner Gewerbeausstellungen", die in der Liste genannt werden.
Im Jahr 1957 wurde in Berlin die so genannte "Interbau - Berlin 57" als vom BIE anerkannte internationale Ausstellung registriert.
Hinzu kommt die im Jahr 1965 in München  durchgeführte "Internationale Verkehrsausstellung", vom BIE als internationale Ausstellung anerkannt.

Schließlich war da noch die echte Weltausstellung "Expo 2000" in Hannover.
Die Wittenberger Weltausstellung steht (noch) nicht in der Liste.
Aber - "Was nicht ist, kann noch werden."

Bis ins Guinnes-Buch der Rekorde wird es die "Weltausstellung Reformation" auf jeden Fall bringen, ist es doch gelungen, die gesamte Bibel (neueste Ausgabe der Lutherbibel zum Anlass Reformationsjubiläum) mit ihren 1.400 Seiten auf einem Bibelturm (ein  temporäres begehbares Gerüst, das mit Planen verhüllt ist) abzudrucken.
 
Die von mir als ziemlich makaber empfundene, ursprünglich geplante Aktion mit den Flüchtlingsbooten ist doch abgesagt worden, man baute nur symbolische Flüchtlingsboote und lässt diese auf dem Schwanenteich treiben.


Das Memorandum "Reformation in der Krise - Wider die Selbsttäuschung"

"Entspannte Reaktion"
REFORMATIONSJUBILÄUM Hohle Euphorie? Die heftige Kritik der Theologen Wolff und Schorlemmer wird in Wittenberg eher gelassen zur Kenntnis genommen.
überschreibt die MZ vom 07.09.2017 auf S. 12 den Beitrag über das Memorandum der beiden Theologen und berichtet dann kaum darüber,  jedoch um so intensiver über die Reaktionen der Veranstalter in Wittenberg.
Nestbeschmutzer sind Kritiker allemal, da mag ihre Kritik gerechtfertigt sein oder nicht.

Waren bisher  Kritik an den Jubiläumsaktivitäten eher von Außenseitern (außerhalb der Kirche und außerhalb von Wittenberg) zu hören, könnte nun der Selbstreinigungsprozess, die Selbstkritik in der evangelischen Kirche selbst beginnen - wenn man denn die kritisch-mahnenden, sorgenvollen Worte der Herren Schorlemmer und Wolff bereit wäre, zu durchdenken. So aber zeigt dieser MZ-Artikel, dass das Gegenteil der Fall ist.
Kritik ist per se "pfui" und wird abgewehrt.

Wer sich selbst ein Bild machen möchte, findet den o. g. MZ-Artikel nicht in der Online-Version. Dort steht ein ganz anderer Text, überschrieben mit:
-"Reformation in der Krise - Käßmann weist Schorlemmer-Kritik zurück"»externer Link«
Was Frau Käßmann dann wirklich gesagt hat, steht leider nicht in diesem Beitrag.

Die überregionale linke Tageszeitung "Neue Deutschland" berichtet  am 06.09.2017 ebenfalls in einem kurzen Beitrag über das Memorandum. Sie nennt Schorlemmer den "ehemaligen Leiter der Evangelischen Akademie in Wittenberg", er war allerdings dort "nur" Studienleiter:
"Grandiose Selbsttäuschung"

Auf der Website von Christian Wolff, ehemaliger Pfarrer in Leipzig, findet man den Text des Memorandums, auch als pdf:
- Reformation in der Krise - wider die Selbsttäuschung »externer Link«
- Memorandum zum Reformationsfest 2017 »externer Link« (als pdf)

Wolfgang Huber, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, schreibt auf seiner Website
(Hervorhebungen im Text von mir - B.K.):
wolfganghuber.info/475-ebernburger-tischrede.html »externer Link«Die grundlegende Kritik an dem Veranstaltungsmarathon zum Reformationsjubiläum  und Vorwürfe der prominenten ostdeutschen Theologen Friedrich Schorlemmer und Christian Wulff, die Feierlichkeiten hätten den wahren Zustand der Kirche ausgeblendet, wies Huber als ungerecht zurück. "Gewiss wäre es erfreulich gewesen, es wären noch mehr gekommen“, sagte er. Die Erwartungen an das Jubiläumsjahr 2017 seien unnötig hochgeschraubt worden.

Die Entscheidung, das eigentliche Jubiläum in zehn, noch während seiner Amtszeit eingeleiteten Themenjahren vorzubereiten, verteidigte der Berliner Altbischof. »Zum ersten Mal hat die evangelische Kirche sich selbst und anderen gezeigt, dass sie überhaupt dazu imstande ist, Themen zu setzen und über lange Zeit durchzuhalten.«"
(sagte er am 5. September bei den „Ebernburger Tischgesprächen“ auf der Ebernburg im rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach.)

Mein Kommentar:
Herr Schorlemmer und Herr Wolff hoffen auf  eine Wirkung des Memorandums, dass es ein Weckruf sein werde, der eine Debatte in der Kirche anstoßen möge.
Zwar suchen sie Lösungen aus dem Dilemma, doch können auch sie einen wirklichen Weg aus der Krise der Kirche nicht finden, bleiben in allgemeinen Forderungen nach einer "Rückbesinnung auf den Auftrag der Kirche, die Verkündung" sowie dem Wunsch, die Kirche möge  dem "biblischen Analphabetismus" und dem "Traditionsbruch" begegnen, stecken.
Zu verkrustet ist das Denken innerhalb der evangelischen Kirche, dass selbst Kritiker sich nicht daraus befreien können.

Vielleicht sollte ich an dieser Stelle noch einmal an meine Idee eines "spirituellen Zentrums" hier in Wittenberg erinnern. Vor den Feierlichkeiten hatte ich diesen Wunsch geäußert, dass es sinnvoller wäre, hier ein solches Zentrum zu errichten, Wittenberg sozusagen zum Treffpunkt der Religionen zu machen. Dafür wäre - aus heutiger Sicht erst recht - das viele Geld, das verbraucht wurde, besser angelegt gewesen.

Könnte es sein, dass die Zeiten - 500 Jahre nach einem Martin Luther und einer Reformationsbewegung - endgültig vorbei sind, in denen aus der Kirche heraus Impulse für gesellschaftliche Veränderungen Wirkung zeigen?


Kritiker lassen kein gutes Haar an den Lutherfeierlichkeiten


Die (atheistische) Giordano-Bruno-Stiftung treibt es am heftigsten
Bereits im Mai 2017 veröffentlichte sie einen Beitrag auf ihrer Website
www.giordano-bruno-stiftung.de/meldung/luther-hassprediger »externer Link«
in dem sie diese 12-seitige Broschüre vorstellte:
   Martin Luther
    Volksheld - Antisemit - Hassprediger


Darin geht es vorwiegend um Luthers Stellung zu den Juden, aber auch um z. B. die Beschönigung der Realität im Lutherfilm von 2003, in dem Luther als freundlich zu behinderten Kindern gezeigt wurde während er in Wirklichkeit eine ganz andere Position zu ihnen einnahm.

Hier das Titelbild der Broschüre, die als pdf auf der Website der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) abgerufen werden kann:
www.giordano-bruno-stiftung.de/~/2017luther-broschuere-web.pdf »externer Link«

        Titelbild der Luther-Broschüre
Zusätzlich habe ich sie auch auf meiner Website als pdf "geparkt".
Ich hoffe, die gbs nimmt es mir nicht übel: →Luther-Broschüre
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Anmerkung A1 zu "Kampf gegen die Touristenmassen":
    siehe z. B. Florenz und Mallorca; in Thailand sind es die Meeresnationalparks,
    die von Tauchern "überlaufen" werden
    (siehe dazu die MZ vom 09.06.2017, S. 25 und 26)