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DIE BESTEN GEDANKEN AUS KUNST, LITERATUR, PHANTASIE

LESSINGS "NATHAN DER WEISE"

MIT DER RINGPARABEL - EIN LEHRSTÜCK DER TOLERANZ

Es heißt,  die Gedanken zur großen Frage der religiösen Toleranz seien ihm während seiner Zeit hier in Wittenberg, in seinem Zimmer in der Mittelstraße, gekommen. Vom Fenster aus konnte er die ›Judensau‹ an der Stadtkirche sehen, ein Schmäh- und Spottbild auf die Juden, wie es seit Jahrhunderten üblich war. Das war um das Jahr 1750, während seines Studiums an der  hiesigen Universität. Lessing lebte von 1729 bis 1781.

Später wurde ihm die Erlaubnis zum Verfassen religiöser - theologischer Schriften entzogen, so kleidete er seine Überlegungen in ein Drama. Die Liebe zum Theater hatte ihn sowieso gepackt. Und in dieser Form haben seine Gedanken die Zeit offenbar besser überstanden und sind heute einer größeren Öffentlichkeit bekannt als es eine theoretische Abhandlung zu diesem Thema wohl wäre.

Schon als Kind habe ich bei meiner Großmutter - lange, bevor es im Schulunterricht auf dem Lehrplan stand - dieses Drama kennengelernt. Sie hat oft mit mir über die Ringparabel gesprochen. Das Buch, dass ich damals las - bis heute gehört es zu meinen Kostbarkeiten - war diese Ausgabe:

Gotthold Ephraim Lessing
Nathan der Weise
Mit einer Einführung  von Adolf von Grolman
Reihe: Texte europäischer Literatur
herausgegeben von Adolf von Grolman
Band 4, 1947
Verlag Heinrich Ellermann Hamburg

Ich gebe im folgenden nur einen Textauszug wider, der die Ringparabel enthält, ohne auf die Rahmenhandlung im einzelnen einzugehen. Diese sei nur insofern erwähnt, als der Jude Nathan vom Sultan Saladin unter Druck gesetzt wird mit der Frage, welche Religion die beste sei bzw. welcher Glaube ihm am meisten eingeleuchtet habe:
Judentum, Islam oder Christentum.

Saladin fragt also Nathan:
(Textauszug aus dem 3. Aufzug, 5. Auftritt)Saladin.
Ich heische deinen Unterricht in ganz
Was anderm; ganz was anderm.--Da du nun
So weise bist: so sage mir doch einmal--
Was für ein Glaube, was für ein Gesetz
Hat dir am meisten eingeleuchtet?

Nathan.
Sultan, Ich bin ein Jud'.

Saladin.
Und ich ein Muselmann.
Der Christ ist zwischen uns.--Von diesen drei
Religionen kann doch eine nur
Die wahre sein.--Ein Mann, wie du, bleibt da
Nicht stehen, wo der Zufall der Geburt
Ihn hingeworfen: oder wenn er bleibt,
Bleibt er aus Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern.
Wohlan! so teile deine Einsicht mir
Dann mit. Lass mich die Gründe hören, denen
Ich selber nachzugrübeln, nicht die Zeit
Gehabt. Lass mich die Wahl, die diese Gründe
Bestimmt, --versteht sich, im Vertrauen-- wissen,                                     
Damit ich sie zu meiner mache.

Nathan, der sich in eine Falle gelockt sieht, grübelt nach einer Lösung. So will er dem Sultan eine Geschichte, ein Gleichnis, eine "Parabel" erzählen,  die das Problem der Frage auf anderer Ebene anschaulich machen soll  und die zeigen wird, dass man die Frage des Sultans nicht so beantworten kann, so eindeutig ja-nein, wie der Sultan es erzwingen wollte.
Die Frage nach der "besten Religion" - so will Lessing am Ende der Geschichte zeigen -  ist noch gar nicht zu beantworten. Das kann erst die Zukunft zeigen ...

Hier nun die berühmte Ringparabel:
(aus dem 3 Aufzug, 7. Auftritt)

Nathan.
Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in Osten,
Der einen Ring von unschätzbarem Wert
Aus lieber Hand besass. Der Stein war ein
Opal, der hundert schöne Farben spielte,
Und hatte die geheime Kraft, vor Gott
Und Menschen angenehm zu machen, wer
In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,
Dass ihn der Mann in Osten darum nie
Vom Finger liess; und die Verfügung traf,
Auf ewig ihn bei seinem Hause zu
Erhalten? Nämlich so. Er liess den Ring
Von seinen Söhnen dem geliebtesten;
Und setzte fest, dass dieser wiederum
Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,
Der ihm der liebste sei; und stets der liebste,
Ohn' Ansehn der Geburt, in Kraft allein
Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde. -
Versteh mich, Sultan.

Saladin.
Ich versteh dich. Weiter!

Nathan.
So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn,
Auf einen Vater endlich von drei Söhnen;
Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,
Die alle drei er folglich gleich zu lieben
Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit
Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald
Der dritte, - sowie jeder sich mit ihm
Allein befand, und sein ergiessend Herz
Die andern zwei nicht teilten, - würdiger
Des Ringes; den er denn auch einem jeden
Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen.
Das ging nun so, solang es ging. - Allein
Es kam zum Sterben, und der gute Vater
Kömmt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei
Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort
Verlassen, so zu kränken. - Was zu tun? -
Er sendet in geheim zu einem Künstler,
Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes,
Zwei andere bestellt, und weder Kosten
Noch Mühe sparen heisst, sie jenem gleich,
Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt
Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt,
Kann selbst der Vater seinen Musterring
Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft
Er seine Söhne, jeden insbesondre;
Gibt jedem insbesondre seinen Segen, -
Und seinen Ring, - und stirbt. - Du hörst doch, Sultan?

Saladin
(der sich betroffen von ihm gewandt).
Ich hoer, ich höre! - Komm mit deinem Märchen
Nur bald zu Ende. - Wird's?

Nathan.
Ich bin zu Ende.
Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst. -
Kaum war der Vater tot, so koemmt ein jeder
Mit seinem Ring, und jeder will der Fuerst
Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt,
Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht
Erweislich; -
(nach einer Pause, in welcher er des Sultans Antwort erwartet)
Fast so unerweislich, als
Uns itzt - der rechte Glaube.

Saladin.
Wie? das soll
Die Antwort sein auf meine Frage?...

Nathan.
Soll
Mich bloß entschuldigen, wenn ich die Ringe
Mir nicht getrau zu unterscheiden, die
Der Vater in der Absicht machen liess,
Damit sie nicht zu unterscheiden wären.

Saladin.
Die Ringe! - Spiele nicht mit mir! - Ich dächte,
Dass die Religionen, die ich dir
Genannt, doch wohl zu unterscheiden wären.
Bis auf die Kleidung, bis auf Speis' und Trank!

Nathan.
Und nur von seiten ihrer Gründe nicht.
Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte?
Geschrieben oder überliefert! - Und
Geschichte muss doch wohl allein auf Treu
Und Glauben angenommen werden? - Nicht? -
Nun, wessen Treu und Glauben zieht man denn
Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen?
Doch deren Blut wir sind? doch deren, die
Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe
Gegeben? die uns nie getäuscht, als wo
Getäuscht zu werden uns heilsamer war? -
Wie kann ich meinen Vätern weniger
Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt. -
Kann ich von dir verlangen, dass du deine
Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht
Zu widersprechen? Oder umgekehrt.
Das nämliche gilt von den Christen. Nicht? -

Saladin.
(Bei dem Lebendigen! Der Mann hat recht. Ich muss verstummen.)

Nathan.
Lass auf unsre Ring'
Uns wieder kommen. Wie gesagt: die Söhne
Verklagten sich; und jeder schwur dem Richter,
Unmittelbar aus seines Vaters Hand
Den Ring zu haben. - Wie auch wahr! - Nachdem
Er von ihm lange das Versprechen schon
Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu
Geniessen. - Wie nicht minder wahr! - Der Vater,
Beteurt' jeder, könne gegen ihn
Nicht falsch gewesen sein; und eh' er dieses
Von ihm, von einem solchen lieben Vater,
Argwohnen lass': eh' müss' er seine Brüder,
So gern er sonst von ihnen nur das Beste
Bereit zu glauben sei, des falschen Spiels
Bezeihen; und er wolle die Verräter
Schon auszufinden wissen; sich schon rächen.

Saladin.
Und nun, der Richter?- Mich verlangt zu hören,
Was du den Richter sagen lässest. Sprich!

Nathan.
Der Richter sprach: Wenn ihr mir nun den Vater
Nicht bald zur Stelle schafft, so weis ich euch
Von meinem Stuhle. Denkt ihr, dass ich Rätsel
Zu lösen da bin? Oder harret ihr,
Bis dass der rechte Ring den Mund eröffne? -
Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring
Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen;
Vor Gott und Menschen angenehm. Das muss
Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden
Doch das nicht können! - Nun; wen lieben zwei
Von Euch am meisten? - Macht, sagt an! Ihr schweigt?
Die Ringe wirken nur zurück? und nicht
Nach aussen? Jeder liebt sich selber nur
Am meisten? - Oh, so seid ihr alle drei
Betrogene Betrüger! Eure Ringe
Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring
Vermutlich ging verloren. Den Verlust
Zu bergen, zu ersetzen, liess der Vater
Die drei für einen machen.

Saladin.
Herrlich! herrlich!

Nathan.
Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr
Nicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt:
Geht nur! - Mein Rat ist aber der: ihr nehmt
Die Sache voellig wie sie liegt. Hat von
Euch jeder seinen Ring von seinem Vater:
So glaube jeder sicher seinen Ring
Den echten. - Möglich; dass der Vater nun
Die Tyrannei des einen Rings nicht länger
In seinem Hause dulden willen! - Und gewiss;
Dass er euch alle drei geliebt, und gleich
Geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen,
Um einen zu begünstigen. - Wohlan!
Es eifre jeder seiner unbestochnen
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
Es strebe von euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag
Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
Mit innigster Ergebenheit in Gott
Zu Hilf'! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bei euern Kindes-Kindeskindern äussern:
So lad ich über tausend tausend Jahre
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen
Als ich; und sprechen. Geht! - So sagte der
Bescheidne Richter.

Saladin.
Gott! Gott!

Nathan.
Saladin,
Wenn du dich fühlest, dieser weisere
Versprochne Mann zu sein:...

Saladin
(der auf ihn zustürzt und seine Hand ergreift, die er bis zu Ende nicht wieder fahren lässt).
Ich Staub? Ich Nichts?
O Gott!

Nathan.
Was ist dir, Sultan?

Saladin.
Nathan, lieber Nathan! -
Die tausend tausend Jahre deines Richters
Sind noch nicht um. - Sein Richterstuhl ist nicht
Der meine. - Geh! - Geh! - Aber sei mein Freund.